Eine einzelne Textzeile, die dafür aber beliebig lang sein kann, stellt der BrailleRing der ARGE Tetragon dar. Dabei handelt es sich um "ein mobiles und flexibles Braille-Display, das blinde Personen mit Smartphones oder Computern verbinden können, um Inhalte dieser Geräte in Blindenschrift zu lesen", wie Projektleiter Michael Treml erklärt. Mobil und flexibel? Das sind vermutlich nicht gerade die Begriffe, die blinde Menschen benutzen würden, wenn sie ein aktuelles Braille-Display beschreiben würden.
Wie oben bereits erwähnt, stellen herkömmliche Braille-Displays maximal 80 Zeichen in einer Zeile dar. Dabei sind diese Varianten aber auch sehr teuer. Günstigere Geräte zeigen jedoch nur zwölf Zeichen und damit nur sehr kurze Textzeilen an. Die österreichischen Entwickler lösen diese Problematik mit einer innovativen neuen Form, und zwar "indem die üblicherweise ebene Textzeile in das Innere eines rotierenden Ringes verlegt wird. So werden nur wenige Braille-Module benötigt. Beim Rotieren werden diese im oberen Bereich des Ringes immer wieder neu gesetzt und im unteren Bereich, in dem man den Finger zum Lesen in den Ring legt, können so immer wieder neue Zeichen dargestellt werden." Durch die Form könnte auch eine hohe Widerstandsfähigkeit gegen äußere Einflüsse wie Staub und Feuchtigkeit erreicht werden. Außerdem werden deutlich weniger Aktuatoren (Bauelemente, die elektrische Signale in mechanische Bewegung umsetzen) als bei herkömmlichen Braille-Displays verwendet, was die Fertigungskosten zukünftig niedrig halten soll und den BrailleRing damit kostengünstig sowie mobil einsatzfähig macht.
Aktuell befindet sich die innovative Idee, die Treml in seiner Master-Arbeit an der Technischen Universität (TU) Wien entwickelte, aber noch in der Prototyp-Phase. Das Projekt hat derzeit den Stand eines von der FFG geförderten Projekts (Spin-off Fellowship), also irgendwo zwischen einem patentierten Konzept und einem serienreifen Produkt. "Am 29. Februar 2020 endet unser gefördertes Projekt an der TU Wien, zu dessen Ende wir einen funktionierenden Prototypen in Originalgröße haben wollen, der grundsätzlich als Minimal-Viable-Product in einer ersten Kleinserie gefertigt werden könnte. Für einen direkten Markteinstieg wird es zu diesem Zeitpunkt aber noch zu früh sein", so Treml zum aktuellen Entwicklungsstand.
Das Interesse an einem mobilen Braille-Reader sei aber durchaus groß: "Das bisherige Feedback war durchaus aufgeschlossen. Wir haben vor allem erfahren, dass viele Personen so ein Gerät gerne zum mobilen Lesen, zum Beispiel im Zug, benutzen würden und dass die Möglichkeit einer einfachen Selbstreinigung unser stärkstes Verkaufsargument sein könnte. Unser Konzept sollte es ermöglichen, die Tastelemente im Inneren komplett von der Elektronik zu entkoppeln, sodass man den Innenteil einfach herausnehmen und abspülen kann."
In der Entwicklungsphase haben die Ingenieure eng mit österreichischen und internationalen Blindenorganisationen zusammengearbeitet und sich so für das generelle Konzept immer wieder Feedback geholt. Auch wenn im aktuellen Stadium noch kein funktionsfähiger Prototyp in Originalgröße vorliegt, den Anwender*innen testen können, ist das Ziel langfristig, den BrailleRing nicht teurer werden zu lassen als handelsübliche Smartphones.
Wie immer im Bereich Forschung und Entwicklung, schafft nicht jedes Produkt es wirklich zur Marktreife. Und am Ende entscheidet auch die Nachfrage über den Preis. In jedem Fall aber könnten beide Projekte – sowohl der Canute 360 als auch der BrailleRing – dazu beitragen, dass die Blindenschrift, die Louis Braille 1825 erfand, vielleicht wieder eine Renaissance erlebt. Aktuell lernen nämlich gerade später erblindete Menschen die Brailleschrift nicht mehr. Dabei wissen auch sehende Menschen, dass ein selbst gelesenes Buch einem besser im Gedächtnis bleibt als eine gehörte Geschichte.