Prof. Thomas Kahlisch ist Direktor der Deutschen Zentralbücherei für Blinde (DZB) und erklärt, welche Möglichkeiten es gibt und was er denkt, warum nicht in barrierefreie Literatur investiert wird.
Welche Anforderungen haben blinde und sehbehinderte Menschen an Literatur?
Prof. Thomas Kahlisch: Grundsätzlich unterscheiden sich die Anforderungen blinder und sehbehinderter Menschen nicht von denen sehender Literaturfreunde. Wichtig ist, dass die Werke in der Form verfügbar sind und dass sie bequem und vollständig gelesen werden können. Blinde Leser nutzen gern die Brailleschrift, um sich Texte detailliert zu erschließen und freuen sich über Hörbücher, die komfortabel und einfach zu benutzen sind. Für sehbehinderte Menschen bieten Bücher in Großdruck einen verbesserten Zugang zum Wissen der Welt. Smartphone und Tablet bieten Vorteile sowohl für blinde als auch sehbehinderte Menschen. Sprachausgabe und Braillezeile ermöglichen es dem blinden Anwender E-Books und viele andere digitale Informationsmedien zu nutzen. Sehbehinderte Leser profitieren von den Möglichkeiten, sich die Darstellung eines Textes nach ihren Bedürfnissen anzupassen.
Wie würden Sie die momentane Situation für blinde Menschen in Bezug auf barrierefreie Literatur beschreiben?
Kahlisch: Aktuell dauert es viel zu lange, bis ein Buch in Brailleschrift verfügbar ist. Kommerzielle Hörbücher sind häufig gekürzte Lesungen und geben nicht das vollständige Werk wieder. Viele E-Books sind nicht barrierefrei, was leider auch auf Zugangsportale, die Lesegeräte und -programme zutrifft. Der große Mangel an barrierefreier Literatur tritt vor allem bei Zeitschriften sowie im Bereich der Sach- und Fachbücher zutage. Der Aufwand ein Fachbuch für blinde Leser so zu gestalten, dass die Inhalte wie Bilder, Grafiken oder mathematische Darstellungen barrierefrei sind, ist sehr hoch. Aus diesem Grund herrscht ein großer Mangel an aktuellen Fachtexten, die für diesen Personenkreis zur Verfügung stehen. Spezielle Bibliotheken wie die DZB in Leipzig bereiten Literatur in barrierefreien Formaten auf, können aber den individuellen Bedarf der Nutzer bei Weitem nicht abdecken. Neue Kooperationen der Verlagswelt mit Einrichtungen wie der DZB können helfen, Wege aufzuzeigen, wie Literatur bereits im Produktionsprozess so gestaltet werden kann, dass das Ergebnis die Belange der Barrierefreiheit berücksichtigt.