Inwiefern ist es daher wichtig, die Einzelhändler und Mitarbeiter entsprechend zu sensibilisieren?
Dohmen: Nun, ich habe bereits erwähnt, dass wir vor einer Generationenaufgabe stehen. Hinzukommt, dass in Bestandsimmobilien häufig bauliche Barrieren vorhanden sind oder der Denkmalschutz eine Beseitigung nicht zulässt. Ich weiß, dass ich jetzt von einigen Verbänden wieder gesteinigt werde, aber wir brauchen pragmatische Lösungen in Deutschland. Immer 150 Prozent zu fordern ist nicht zielführend, manchmal sind 90 Prozent mehr. Die Amerikaner und Briten machen es uns beeindruckend vor. Hierzu gehört vor allem gut geschultes und sensibilisiertes Personal. Wir müssen Hemmungen und Berührungsängste abbauen. Mitarbeiter müssen nicht sichtbare Behinderungen und Einschränkungen erkennen können und entsprechend Hilfestellung anbieten. Nicht sichtbar meint hier zum Beispiel Hörbehinderungen, Lernbehinderungen oder Sehbehinderungen, aber auch altersbedingte Probleme. Hier fehlt es sehr oft an Erfahrung oder es bestehen Ängste.
Unser LernLaden sieht zunächst unscheinbar normal aus. Er ist übrigens bewusst in einem nicht barrierefreien Gebäude untergebracht. Anhand von typischen und alltäglichen Verkaufssituationen verwandeln wir die Teilnehmer in Kunden mit Beeinträchtigung. Wie fühlt es sich an als erblindeter Kunde einzukaufen? Welche Probleme haben ältere Kunden mit Alterszittrigkeit beim Griff ins Regal oder beim Bezahlen? Wie verändert zum Beispiel der Graue Star den Blick auf die Produkte? Wir behandeln in unserem Laden aber auch Themen wie Lähmungen, Arthrose, Tinnitus, Autismus, Übergewicht bis hin zum Rückenschmerz. Seit Öffnung des Ladens haben mittlerweile rund 1.000 Schüler an unserer Sensibilisierung teilgenommen. Der Laden wird in Aachen über das Projektende bestehen bleiben und ist auch für andere Schulen zugänglich. Der Inhalt der Schulung ist ergebnisoffen! Wir entwickeln kontinuierlich neue Simulationen und Lernmodule.
Was bedeutet für Sie Inklusion?
Dohmen: Leider unterliegt der Begriff der Inklusion in der öffentlichen Wahrnehmung einem ähnlichen Missverständnis wie schon die Barrierefreiheit. Fragt man nach, hört man sehr oft: "Ach das ist doch, wenn behinderte und nicht behinderte Kinder in eine Schule gehen." Das ist aber eigentlich Integration. Inklusion ist für uns eine "Gesellschaft für Alle" – unabhängig von Alter, Geschlecht, Glaube, Bildungsstand, Sprache, Nationalität. Auch hier sehen Sie, dass dies eine Generationenaufgabe darstellt. Insgesamt gibt es für uns alle noch viel zu tun und viel zu verstehen.