Dem Ratsuchenden gehört die "Bühne", das heißt der Betroffene bestimmt aus seiner persönlichen Situation heraus mit seinen Fragen die Gesprächsinhalte. Die Klinikgespräche finden in der Regel bis zu drei Mal während eines Klinikaufenthaltes statt und sind ein ehrenamtliches Angebot. Auch in der Prothesen-Rehabilitation im Unfallkrankenhaus Berlin werden Gesprächsrunden angeboten. Peer Counseling kann außerdem, je nach Bedarf des Betroffenen, auch professionell in Anspruch genommen werden.
Welche positiven Effekte kann das Peer-Gespräch nach Amputationen von Gliedmaßen auf den Patienten haben?
Marth: Ziel des Counselings ist es, von Amputation betroffene Menschen zu motivieren, zu unterstützen und zu aktivieren, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen. Man spricht hier von Empowerment, einem "stark machen" für das Leben. Anteilnahme, echte Zuwendung, bedingungsfreie Wertschätzung, Empathie und aktives Zuhören sind Säulen der Gespräche. Die Peer-Gespräche sollen dem Betroffenen im Bewältigungs- und Anpassungsprozess an die neue Lebenssituation und die neue Körpererfahrung und die damit verbundenen physischen, psychischen und sozialen Folgen unterstützen.
"Das wichtigste Element beim Peer Counseling ist das Beispiel eines anderen, mit dem ich mich gleichstellen kann. Das Vorbild eines Kollegen gibt einen eindrucksvolleren und nachhaltigeren Effekt als der Einsatz der besten nichtbehinderten Experten", sagt Sigrid Arnade. Der Peer hat durch eigene Erfahrungen und die Bewältigung der eigenen Lebenssituation Konzepte, Problemlösungsmöglichkeiten und Strategien entwickelt, die Nicht-Betroffene nicht haben können. Peers können aus diesem Grund andere Betroffene leichter verstehen, wodurch sich der Ratsuchende besser angenommen fühlt – "... der weiß, wie es mir geht!". Dadurch ist eine Ebene der Vertrauens- und Glaubwürdigkeit gegeben.
Die Vorteile der Peer-Beratungen sind Vorbildwirkung, der gleichberechtigte Kontakt zwischen Peer und Patient, das Verständnis aus der gemeinsamen Erfahrung heraus und ein Informationsvorsprung des Peers. Auch im Prozess der Prothesenanpassung kann der Peer unterstützen und Tipps und Strategien weitergeben. Manche Betroffene wissen nicht, dass sich der Prothesenanpassungsprozess mitunter langwierig gestalten kann, da sich der Stumpf anfangs immer wieder verändert. Der Peer kann die möglichen emotionalen Folgen der Amputation wie Schuld- oder Schamgefühle, Selbstwertverlust, Ängste, wie die vor den Reaktionen der Umwelt oder Zukunftsängste, besser verstehen.