Seit Dezember 2016 gibt es die Schlichtungsstelle. Welchen Eindruck haben Sie bislang sammeln können: Wo gibt es im Zusammenhang mit dem Behindertengleichstellungsgesetz die größten Schwierigkeiten?
Lutz: Die inhaltlichen Schwerpunkte der bisher bei der Schlichtungsstelle eingegangenen Anträge liegen im Bereich der physischen und digitalen Barrierefreiheit. Typische Konstellationen sind beispielsweise der fehlende Zugang zu Gebäuden oder Webseiten, die nicht barrierefreie Kommunikation der Träger öffentlicher Gewalt in den Sozialen Medien und Apps, die für blinde oder sehbehinderte Menschen nicht wahrnehmbar sind. Weitere Anträge richteten sich gegen Privatunternehmen, an denen Träger öffentlicher Gewalt beteiligt sind. Andere Anträge betrafen staatlich geförderte Projekte, an denen behinderte Menschen wegen fehlender Barrierefreiheit nicht teilhaben konnten. Außerdem gab es Anträge in Verbindung mit Verwaltungsverfahren zur Erbringung von Teilhabeleistungen, in denen die Schlichtungsstelle BGG zwischen Antragstellenden und den Trägern öffentlicher Gewalt vermittelnd tätig wurde.
Insgesamt zeigen sich auch Verbände sehr interessiert an der Schlichtungsstelle. Der Anteil der Verbandsschlichtungsanträge an der Gesamtzahl der Anträge ist bisher allerdings noch relativ gering.
Schwierigkeiten für Antragstellende beziehungsweise Ratsuchende sind, dass ihnen oft unklar ist, in welchen Bereichen die Schlichtungsstelle BGG tatsächlich tätig werden darf. Probleme bereitet vor allem die Definition des Trägers öffentlicher Gewalt des Bundes (in Abgrenzung zur Landesverwaltung). Andere Betroffene wünschen sich, dass die Schlichtungsstelle auch bei Rechtsverletzungen im privatwirtschaftlichen Bereich Hilfe anbieten kann. Dafür wäre aber eine Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes oder des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes notwendig.
Auch wenn keine Zuständigkeit der Schlichtungsstelle vorliegt, versuchen wir beispielsweise durch eine Verweisberatung an andere Stellen weiterzuhelfen. Bei Anfragen zur Barrierefreiheit im privatwirtschaftlichen Bereich zeigen erste Erfahrungen, dass Unternehmen sehr aufgeschlossen reagieren, wenn sie Hinweise auf fehlende Barrierefreiheit erhalten. Bei Anträgen und Anfragen, für die die Länder zuständig sind (zum Beispiel bei den Themen: inklusive Schulbildung, Anerkennung von Schwerbehinderungen, KFZ-Hilfen, Inanspruchnahme von Parkerleichterungen und so weiter), erfolgte wie eingangs erwähnt, eine Verweisberatung beziehungsweise wurden die Landessozialministerien oder die Landesbehindertenbeauftragten durch die Schlichtungsstelle um Übernahme gebeten. Teilweise zeigten sich Antragstellerinnen und Antragsteller darüber erfreut, dass andere Wege aufgezeigt wurden, teilweise wurde aber auch der eher eingeschränkte Handlungsspielraum der Schlichtungsstelle kritisiert.
Insgesamt lässt sich nach den ersten Monaten jedoch ein positives Fazit ziehen: Durch die Einrichtung der Schlichtungsstelle wurde ein konkretes Instrument geschaffen, mit dem Rechtsverletzungen nach dem BGG kostenfrei geltend gemacht werden können, dass bereits rege genutzt wird.
Was bedeutet für Sie Inklusion?
Dr. Werner: Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden – so steht es im Grundgesetz, in der UN-Behindertenrechtskonvention und sinngemäß auch im Behindertengleichstellungsgesetz. Für uns bedeutet Inklusion, dass Menschen mit oder ohne Behinderung ganz selbstverständlich zusammenleben. Die Teilhabe an allen Aktivitäten in allen Lebensbereichen – zum Beispiel bei der Arbeit, in der Freizeit, in der Schule oder beim Einsteigen in den Bus oder die Bahn – sollte ohne Hindernisse möglich sein. Dieser Prozess entwickelt sich aber nicht von allein, sondern durch viel Arbeit von vielen Beteiligten; seien es Staat, Unternehmen und Zivilgesellschaft, aber natürlich auch durch jeden Einzelnen. Als Schlichtungsstelle ist es unser Ziel, Hindernisse zu beseitigen. So tragen wir mit unserer Arbeit zur Verwirklichung der Inklusion ebenfalls bei.