Dass vor allem Patient*innen Digitalisierung wollen und realistische Vorstellungen davon haben, wie das ablaufen kann, weiß auch Professor Werner Esswein vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, insbesondere Systementwicklung, an der Technischen Universität Dresden. "Die Frage der technischen Schnittstellen, die noch in den 2000er Jahren die Debatte geprägt hat, ist der Frage nach der Gestaltung tragfähiger digitaler Geschäftsmodelle gewichen, welche im Gesundheitssystem durchführbar sind", sagt Esswein. Für die Umsetzung von Digitalisierungsprojekten brauche es dennoch einen sehr langen Atem, da oftmals klinikintern als auch im System neue Wege gegangen werden müssten.
Professor Esswein ist aktuell am Forschungsprojekt QPATH4MS (Pfadgestütztes Qualitätsmanagement in der MS-Versorgung) beteiligt, bei dem die aktive Einbindung der Betroffenen von Anfang an eine wichtige Rolle spielt – wie auch der Beitrag auf REHACARE.de dazu veranschaulicht. "Gerade bei Erkrankungen mit Bewegungseinschränkungen sind doch solche Projekte, die im Alltag helfen können, sehr wichtig", sagt Maria O.*, der es deswegen so wichtig war, als Expertin in eigener Sache ihren Teil dazu beizutragen. Auch Karla W. ist der Meinung, dass man als betroffene Person ein besseres Verständnis dafür hat, wie andere sich in der gleichen Situation fühlen. Und welche Anforderungen sie an eine digitale Lösung stellen – vor allem, wenn Digitalisierung bisher wie in ihrem Fall keine so große Rolle im Leben gespielt hat.
Im Fall der Versorgung von Menschen, die mit MS leben, bietet die Digitalisierung auf jeden Fall Chancen, da sie eine deutlich personalisiertere Versorgung ermöglichen kann. "Es ist beispielsweise vorstellbar, dass in Abhängigkeit vom Krankheitsverlauf und auf die Patient*innen abgestimmt, auch Lern-Inhalte zur Verfügung gestellt werden", sagt Dr. Hannes Schlieter von der TU Dresden, der ebenfalls an QPATH4MS beteiligt ist. "Auch Prävention wird einen ganz neuen Stellenwert erhalten, indem über digitale Anwendungen Risiko-Vorhersagen getroffen werden können und es somit zur Verbindung des ersten und zweiten Gesundheitsmarktes kommt."
Perspektivisch, so ist sich Schlieter sicher, werden die Chancen der Digitalisierung auch auf den Bereich Rehabilitation übergreifen. Durch Projekte wie das vCare Project wird Rehabilitation immer stärker auch das häusliche Umfeld durchdringen – ergänzt durch digitale Helfer, die die Patient*innen bei ihren Übungen begleiten und anleiten.
Sei es nun also in der Rehabilitation von morgen oder im Bereich der (häuslichen) Pflege – Digitalisierung ist immer weiter auf dem Vormarsch und wird Schritt für Schritt sicher auch hier sein Potenzial entfalten. Denn in Kombination mit qualifiziertem Fachpersonal und entsprechender Einweisung können digitale Lösungen das Leben von Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen durchaus vereinfachen und zu mehr Selbstbestimmung beitragen.
* = Namen von der Redaktion geändert