Der Segelsport als paralympische Disziplin steht vor dem Aus. Die Entscheidung des Internationalen Paralympischen Komittees (IPC), Segeln bei den paralympischen Spielen 2020 in Tokio aus dem Programm zu streichen, trifft nicht nur die Sportler hart. Der Beschluss wird sich auch langfristig negativ auf den nationalen wie internationalen Breitensport auswirken.
03/08/2015
Heiko Kröger ist einer der bekanntesten paralympischen Segler im Sailing Team Germany. Seinen größten Erfolg feierte er im Jahr 2000 mit einer Goldmedaille bei den Paralympischen Spielen in Sydney. Zum Segelsport kam er schon früh durch seine Eltern und ist bis heute dabei geblieben. Bevor er vor rund 16 Jahren zum paralypmpischen Sport umstieg, segelte er mit seiner Behinderung – Kröger fehlt von Geburt an der linke Unterarm – auch olympisch. "Den Wechsel vollzog ich nicht, weil ich in dieser Klasse keine Chance gehabt hätte, sondern weil mich das Boot einfach interessierte", bekennt Kröger.
Chancengleichheit als wichtigster Bestandteil
Das Boot, das es Kröger angetan hat, ist ein Ein-Mann-Kielboot und wird in Fachkreisen 2.4mR oder auch Two-point-four genannt. Das stabile Wasserfahrzeug hat eine Länge von 4,20 Meter und eine Breite von 0,8 Meter und wiegt zudem 264 Kilogramm. Das Besondere an diesem Boot: Es kann von Menschen mit und ohne körperlicher Behinderung gesegelt werden. Während Wettkämpfen wie bei der Kieler Woche oder den Weltmeisterschaften starten die Sportler gemischt. Sie werden nicht, wie normalerweise üblich, über ihren Behinderungsgrad in verschiedenste Klassen aufgeteilt. Kröger betont: "Dann heißt es alle gegen alle! Inklusion ist in unserer Sportart schon seit etlichen Jahren gelebte Realität."
Die Chancengleichheit wird vor allem durch das Sportgerät ermöglicht. Anders als im Fall Markus Rehm garantiert es die Vergleichbarkeit zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Mit wenig Aufwand kann das Boot an die jeweiligen Fähigkeiten des Sportlers angepasst werden. Kröger selbst lenkt sein Boot mit den Füßen. Ihm fehlt seit der Geburt der linke Unterarm. Andere Sportler steuern das Gefährt mit den Händen oder sogar mit dem Mund.
Kröger ist sich sicher, dass gerade die Chancengleichheit, die mit dem 2.4mR ermöglicht wird, das Segeln zur inklusivsten Sportart überhaupt macht. "Im Fall Markus Rehm würde ich auch sagen, dass die Gleichberechtigung der Teilnehmer nicht gegeben ist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass mit dem entsprechenden finanziellen Einsatz noch leistungsstärkere Prothesen hergestellt werden könnten. Wenn jemand dann mit einer Prothese schneller rennt oder höher beziehungsweise weiter springt, hat das nichts mehr mit Fairness zu tun."
Gerade aus diesem Grund ist es umso tragischer, dass das Internationale Paralympische Komittee (IPC) den Segelsport ab 2020 von der Liste der paralypmischen Disziplinen gestrichen hat. Kröger ist entrüstet: "Diese Entscheidung ist nicht nachvollziehbar. Gerade Segeln ist eine Sportart, in der behinderte und nicht-behinderte Athleten im Sinne der Inklusion miteinander Sport treiben können. Das IPC tritt mit Füßen, was andere in jahrelanger mühevoller Arbeit aufgebaut haben."
Ursprünglich sei der Grund die mangelnde internationale Beteiligung. Drei oder vier Nationen haben am Ende gefehlt. Kröger sieht hinter der Entscheidung vielmehr finanzielle Aspekte. Ein Segelwettbewerb sei nun einmal aus verschiedenen Gründen ein sehr kostspieliges Event. Zwar habe der Weltsegelverband, in dem der Weltbehindertensegelverband letztes Jahr aufgegangen ist, gemeinsam mit der International Sailing Federation (ISAF) alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt, um diese Beschluss abzuwenden, aber das IPC lässt sich dahingehend nicht beirren.
Tiefgreifende Auswirkung auf den Breitensport
Das Problem, das durch diese Entscheidung zudem auftritt, ist, dass der Segelsport ab 2017 dann nicht mehr unter die Rubrik Breitensport fällt. Kröger erläutert: "Das bedeutet, dass die nationalen Behindertensportverbände den Sport nicht mehr so fördern können, wie es vorher der Fall war. Boote, die dem Verband gehören, müssen verkauft, Trainer entlassen werden und die Sportler erhalten keine Förderung mehr. Einmal als paralypmische Disziplin ausgeschieden, wird der Segelsport auch nie wieder paralympisch werden." Die Gretchenfrage lautet also: Wie soll der Segelsport auf einem internationalen Niveau entwickelt und verbreitet werden, wenn zwei Drittel oder drei Viertel der Nationen den Sport aufgeben müssen?
Initiative ergreifen und den Behindertensport fördern
Kröger ist daher nicht nur sportlich aktiv. Er ist außerdem Projektleiter für Inklusion im Sailing Team Germany. In Deutschland gibt es mittlerweile sechs Segelvereine, die Segeln für Menschen mit und ohne Behinderung inklusiv anbieten. Das heißt, es gibt keine explizite Behindertensportgruppe, sondern die Arbeit mit Menschen mit Behinderung geht im ganz normalen Segelbetrieb auf. "Das ist der beste Weg zur Inklusion", freut sich Kröger. "Wir haben von Aktion Mensch einen Etat erhalten, der uns dabei hilft, den Segelsport auszubauen. Mit diesen Vereinen, oder Inklusionsstützpunkten, wie wir sie nennen, wollen wir ein Zeichen setzen und beispielhaft vorangehen."
Menschen mit Behinderung wird so der Segelsport näher gebracht. Andere Vereine sollen zudem motiviert werden, das Konzept zu übernehmen. "Wir zeigen, wie es geht und stehen bei Fragen zur Verfügung. Mein Job ist es, diese Stützpunkte zu koordinieren und auch beratend für Vereine und Segler zur Verfügung zu stehen. Es ist mir ein persönliches Anliegen den Segelsport für Menschen mit Behinderung in Deutschland weiter auf- und auszubauen."