Ähnlich wie bei der "Geschwisterzeit Rhein-Main" ist auch bei den Geschwistermeetings oder online zu beobachten, dass es hilft, wenn man unter Gleichgesinnten ist, die die eigene Situation trotz der jeweiligen Individualität und Einzigartigkeit, nachvollziehen können. "Was als erstes bei unseren Treffen beeindruckt, ist, dass dort viele andere Menschen sind, die die gleichen Sorgen und Fragestellungen umtreibt. Menschen, die einen sehr genau verstehen, weil sie in der gleichen Situation sind. Denen man nicht erst groß etwas erklären muss." Das ist natürlich hilfreich beim Verarbeiten der eigenen Probleme oder Fragestellungen und man kann sich durch die persönlichen Erfahrungen der anderen Teilnehmer auch Rat holen.
Und auch andere Punkte überschneiden sich durchaus mit denen im Kindesalter, was den Umgang untereinander und die Rolle der Eltern betrifft. Je nach Schweregrad der Behinderung ist die spätere Pflege ein großes Thema. Wo wir wieder beim Thema Überbehüten und Überfordern wären, wie der Mitbegründer von erwachsene-geschwister.de weiß: "Es liegt in der Natur der Sache, dass Eltern oft von ihrer Fürsorge getrieben werden. Das ist auch gut so. Es kann aber auch Formen annehmen, die problematisch sind. Eltern sollen dafür sorgen, dass die behinderten Kinder unabhängig werden können, erwachsen. Unabhängig von den Eltern. Denn wenn die Eltern alt sind und plötzlich nicht mehr so viel für ihre Kinder leisten können, wie sie es deren ganzes Leben lang getan haben, dann ist es zu spät."
Velten hat ein offenes Gespräch mit seinem Bruder und seinen Eltern geführt, darüber, was er leisten kann und will – und was nicht. Seitdem geht es ihm besser, auch wenn die ehrlichen Worte seinem Bruder natürlich zu schaffen machten. Dennoch würde er immer dazu raten, offen und ehrlich in der Familie über Themen wie spätere Pflege und/oder die Wohn- und Betreuungssituation, das elterliche Testament und über die gegenseitigen Erwartungen zu sprechen. Für Eltern sei es wichtig, sich einzugestehen, dass Bruder oder Schwester des Kindes mit Behinderung nicht auch die gleiche Verantwortung und Pflichten übernehmen können, die sie selbst aus elterlicher Fürsorge heraus geleistet haben. Denn: "Auch behinderte erwachsene Menschen sind erwachsene Menschen. Behandelt sie auch so, egal welche Einschränkungen oder Herausforderungen existieren." Aber auch für die gesunden oder nicht-behinderten Geschwister sei es wichtig, "dass ich mir meine Gefühle eingestehe, dass ich sie erspüre und vielleicht hinterfrage. Ganz egal, ob diese landläufig ein negatives oder positives Image haben." Immerhin, so Velten weiter, sei jedes Verhältnis zwischen Geschwistern "ganz unterschiedlich, mal mehr oder weniger liebevoll, freundschaftlich oder auch problembehaftet."
Mit all dem Wissen von heute würde Sascha Velten seinem früheren Ich folgenden Rat geben: "Versuch, dir deine Gefühle bewusst zu machen. Versuch, ein Gespür dafür zu bekommen, was du wirklich fühlst und was du für dich willst. Mach dich in Gedanken frei von jeglicher Verantwortung. Du bist ein Kind und hast keine Verantwortung für dein Geschwister oder deine Eltern. Du bist verantwortlich für dich."
Dennoch ist es nicht so, dass sein Bruder keinen Platz in seinem Leben hat oder Velten etwas gefehlt hat in seiner Kindheit: "Ich habe als Kind nicht gelitten unter meiner Situation. Ich habe das gerne gemacht und was ich tat, fühlte sich gut an. Erst heute – dreißig Jahre später – kann ich mir diesen Rat geben."