Wandern, Städte erkunden oder sich auf einem Segelschiff die Meeresbrise um die Nase wehen lassen – mit Beratung, guter Vorbereitung und speziellen Reiseangeboten können Menschen mit Behinderung unterwegs Barrieren überwinden. Auf der REHACARE, Internationale Fachmesse für Rehabilitation und Pflege, die vom 14. bis 17. September 2022 in Düsseldorf stattfindet, werden barrierefreie Urlaubsziele, zertifizierte Hotels und nützliche Hilfen vorgestellt.
Menschen mit Einschränkungen, die gerne reisen und sich am Wasser, bei Ausflügen in Städte oder in die Berge erholen möchten, können in der Regel nicht einfach die Koffer packen und losfahren. Wer beispielsweise nach einem Schlaganfall im Rollstuhl unterwegs ist, braucht ein leicht zugängliches Hotel mit ausreichend großem Badezimmer. André Scholz kennt die Herausforderungen, die barrierefreies Reisen mit sich bringt: Der Altenpfleger und Pflegeberater hat den Verein „Reisemaulwurf“ (reisemaulwurf.de) gegründet und berät Menschen mit Behinderung, die sich einen entspannenden Tapetenwechsel wünschen. Scholz: „Weil jeder andere Ansprüche hat, ist es nicht leicht, das passende Angebot im Reisebüro oder über das Internet zu buchen. Bei vielen Hotels weiß man vorab nicht, ob sie den persönlichen Wünschen und dem individuellen Bedarf entsprechen.“
Die eigenen Ansprüche sortieren
Rund 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen leben laut aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Ende 2021) in Deutschland – hinzu kommen Menschen mit Demenz oder chronischen Erkrankungen wie Parkinson, Herzschwäche und Nierenerkrankungen. Wenn sie verreisen möchten, ist aus Sicht von André Scholz eine gute Vorbereitung das A und O. Er rät, erst einmal mithilfe von Angehörigen oder Freunden die eigenen Ansprüche zu sortieren, um nicht enttäuscht zu werden. Dabei kann man sich einige Fragen stellen. Etwa: Wie lange möchte ich unterwegs sein und wie weit will ich reisen? Was hat beim letzten Mal gut funktioniert und an welchen Stellen gab es Probleme? Welche Unterstützung und welche Hilfsmittel sind notwendig? Entsprechende Angebote finden sich auf der REHACARE, Internationale Fachmesse für Rehabilitation und Pflege, die vom 14. bis 17. September 2022 in Düsseldorf stattfindet. Das kann beispielsweise eine transportable Badewanne für die Körperpflege unterwegs sein, wie sie Lavaset anbietet (Halle 4, Stand A 12) oder ein faltbarer Rollstuhl wie etwa von Pro Aktiv (Halle 6, Stand A 61).
Scholz: „Damit sich die Reisenden und ihre Begleiter – Kinder, Freunde und Partner – möglichst gut erholen, sollte die komplexe Ferienplanung in einzelne Schritte aufgeteilt werden. Wie die Zutaten eines Salates, den man anschließend mixt.“ Ein solches Management ist laut dem Reiseberater vor allem für diejenigen eine Herausforderung, die nicht von Geburt an krank oder eingeschränkt sind – oder die es nicht gewohnt sind, weil sie etwa gerade erst einen Schlaganfall erlitten. Um Erholungssuchende mit Handicap zu unterstützen, haben zahlreiche Reiseveranstalter spezielle Angebote sowie ärztlich begleitete Reisen, auch Gruppenreisen oder Kreuzfahrten, in ihrem Angebot. Vereine und Verbände können bei der Urlaubsorganisation helfen.
Angebote für barrierefreie Auszeiten
Wie barrierefrei ein Angebot ist, kann man anhand eines Zertifikats des Kennzeichnungssystems „Reisen für Alle“ überprüfen. Alle Bundesländer setzen es ein und es wird vom Bundeswirtschaftsministerium gefördert. Geschäftsführer Rolf Schrader erklärt: „Die mehr als 350 geschulten Prüfer, die für uns arbeiten, schauen sich zum Beispiel im Hotel die Höhe der Betten oder die barrierefreie Gestaltung der Badezimmer an.“ Eine Zertifizierungsstelle bewertet und beschreibt daraufhin den Betrieb für mobilitäts- und sinnesbeeinträchtigte Menschen. Schrader: „Zudem muss sich in jedem Betrieb eine geschulte Person mit dem Thema befassen.“ Die Zertifikats-Kriterien wurden mit den Betroffenen-Verbänden erarbeitet. Auf dem Portal www.reisen-fuer-alle.de kann man wählen - von Wanderweg bis Wellness-Hotel, ebenfalls das Bundesland und die Ferienregion. Mithilfe von Filtern wie „Parkplatz / WC für Menschen mit Behinderung“ gelangen die Nutzer zu den knapp 3.000 Angeboten, die zu ihren Bedürfnissen passen sollten. Dazu gehört unter anderem das Heidehotel Bad Bevensen (Halle 5, Stand A21), das sich auf der REHACARE 2022 präsentiert. Gäste können sich dort beispielsweise im barrierefreien Vital-Zentrum mit Bio-Sauna, Sauna, Dampfbad, Entspannungsräumen und Gymnastikraum erholen.
Barrierefreie Ziele in ganz Deutschland
Drei Jahre gilt das Zertifikat von „Reisen für Alle“, danach wird der Betrieb erneut geprüft. Schrader: „Wir streben an, dass es überall dort, wo man sich über Reisen informiert, verlässliche Auskünfte für Menschen mit Beeinträchtigung gibt.“ Dieses Ziel verfolgt ebenso die TMGS (Tourismus Marketing Gesellschaft Sachsen mbH) und ihre Mitstreiter, die auf der REHACARE 2022 touristische Ziele in ganz Deutschland (Halle 5, Stand A 29) vorstellen. Die TMGS gibt detaillierte Informationen zu Zugangsbreiten, Bewegungsflächen, speziellen Serviceleistungen oder die Bereitstellung von Hilfsmitteln. So können die Reisenden beurteilen, ob das jeweilige Angebot ihren Anforderungen entspricht. Über barrierefreie Urlaubsziele und die entsprechende Freizeitgestaltung vor Ort informiert die Arbeitsgemeinschaft „Leichter reisen“ (Halle 5, A 29). Das können zum Beispiel vereinfachte Zugänge zu Stränden in Ostfriesland oder Mecklenburg-Vorpommern über lange Holzstege sein. Auch gibt es die Möglichkeit, je nach den persönlichen Fähigkeiten auf einem Bauernhof zu reiten oder Bogenschießen zu üben.
Urlaubspläne den Möglichkeiten anpassen
Die Angebote der Tourismusbranche sind im Vergleich zur steigenden Zahl der Menschen mit Beeinträchtigungen noch nicht üppig gesät. „Umso wichtiger ist es, mit Bedacht eine Auswahl zu treffen, um schöne Eindrücke zu gewinnen und wieder mehr Lebensmut zu schöpfen“, meint Pflegeberater Scholz. Wer flexibel und bereit ist, seine Pläne den Möglichkeiten anzupassen, dessen Chancen für einen wunderbaren Urlaub steigen. Und warum dafür nicht in die Ferne schweifen? Zu den Ausstellern auf der REHACARE 2022 zählen der niederländische Anbieter De Egmonden, der über seine rollstuhlfreundlichen Apartments in Egmond aan Zee informiert (Halle 5, Stand A23), und die Fundació Mallorca Turisme (Halle 5, Stand B30), eine gemeinnützige Stiftung, zu deren Ziele es zählt, den barrierefreien Tourismus auf Mallorca zu fördern.
Segeln – uneingeschränkter Sport-Urlaub auf dem Wasser
Von der kleinen Jolle bis zur großen Yacht: Segelboote können so umgebaut oder angepasst werden, dass Menschen mit Behinderung an Bord Spaß haben und das Steuer übernehmen. Der Deutsche Seglerverband (DSV) und die niederländische Organisation SailWise stellen ihre Angebote bei der REHACARE 2022 vor.
Leicht über die Wellen zu gleiten und keine Einschränkungen zu spüren - Elke Paatz weiß, wie viel dies Menschen mit einer Behinderung bedeutet. Sie berät beim Deutschen Segler-Verband (DSV) alle, die mehr über inklusives Segeln wissen wollen, und sagt: „Auf den meisten Booten können wir mit allen Beteiligten Lösungen für quasi jedes Handicap finden. An einem Bügel über dem Cockpit kann man sich festhalten, um sicher zu stehen. Es gibt Boote, die mithilfe von Pedalen von Menschen gesteuert werden, die nur einen Arm haben. Und solche mit Spezialkonstruktionen, die man nur mithilfe eines Fußes lenkt – oder über Luft, die in Schläuche hineingepustet bzw. aus ihnen herausgesaugt wird.“
Die Behinderung bleibt an Land
Um die 40 Segelvereine in Deutschland bieten bereits inklusives Segeln an, und es werden immer mehr. „Wir bauen die Datenbank mit den Anbietern ständig aus“, sagt Elke Paatz. „Dadurch finden auch immer mehr Interessierte den Weg in die Vereine.“ Dass Segeln beliebter wird, wundert Elke Paatz nicht: „Die Behinderung bleibt quasi an Land, man ist frei, eigene Entscheidungen zu treffen.“ Damit sich alle sicher fühlen, wird genau überlegt, wer welche Unterstützung an Bord braucht oder welche Aufgabe übernehmen kann. „Sind beispielsweise Menschen mit geistiger Beeinträchtigung an Bord, dann behält die Ausbilderin bzw. der Ausbilder den Überblick und unterstützt gegebenenfalls in kritischen Situationen.“
Ist ein Segelfan von einer Sehbehinderung betroffen, so erhält er die Möglichkeit, das Boot und seine Ausstattung zu ertasten. So kann er sich an Bord orientieren und weiß, wo alle wichtigen Gegenstände zu finden sind. „Wenn sich Dinge ähnlich anfühlen, wie zum Beispiel bestimmte Klemmen, machen wir sie mithilfe verschiedener Tapes unterscheidbar“, erklärt Elke Paatz. Menschen mit einer Sehbehinderung seien in der Lage, ein Boot nach dem Wind zu lenken. „Sie spüren den Druck des Ruders, bekommen ein Gefühl für die Windrichtung und -stärke. Durch ein Beiboot und akustische Signale können sie vor möglichen Hindernissen gewarnt werden.“
Schnupperkurse auf den Schiffen der Vereine
Bei Schnupperkursen können Anfänger ausprobieren, ob sie Spaß am inklusiven Segeln haben. Schon nach kürzester Zeit erleben sie laut der Expertin erste Erfolgserlebnisse, wenn sie zum Beispiel beim Segeln das Vorsegel bedienen. „Bis man sich sicher an Bord bewegen kann, dauert es dann jedoch einige Monate.“ Die jährliche Gebühr für Mitglieder eines Segelvereins ist unterschiedlich hoch, sie startet bei etwa 50 Euro. „Dafür kann man in der Regel die Boote samt ihrer Sonderausstattung nutzen und mithilfe von Kursen segeln lernen“, sagt Elke Paatz. Sie möchte online bei der REHACARE 2022 zugeschaltet werden, um Fragen der Besucher zu beantworten. Diese können sich auch ein umgebautes Boot mit speziellen Sitzen anschauen und sozusagen bei einer Trockenübung testen, wie es sich mithilfe eines Joysticks steuern lässt.
Maßgeschneiderter Urlaub für Menschen mit Behinderung
Wer einen Segelurlaub buchen und maßgeschneiderte Törns für Menschen mit Behinderung über das Ijsselmeer in den Niederlanden mitmachen möchte, findet bei dem niederländischen Anbieter SailWise für seinen Wassersporturlaub eine Auswahl an Angeboten – zum Beispiel eine Reise an Bord des historischen Zweimastklippers „Lutgerdina“ aus dem Jahr 1997. Er wurde für Menschen mit Behinderung umgerüstet – unter Deck kann man beispielsweise mit einem Aufzug gelangen.
Informationen
Der Deutsche Seglerverband (DSV) ist Mitaussteller des Behinderten- und Rehabilitationssportverbandes Nordrhein-Westfalen (BRSNW) in Halle 7a, Stand A 01. Im BRSNW Sportcenter wird Sport für Menschen mit Behinderung erlebbar gemacht – durch gemeinsames Ausprobieren, Mitmachen, Erleben und Erfahren.
SailWise, seit 45 Jahren Anbieter für Wassersportaktivitäten und Ferien für Menschen mit einer Beeinträchtigung, stellt sich in Halle 5, Stand A 20 vor.
Autorin: Natascha Plankermann, Journalistin mit Schwerpunkt Medizin/Gesundheit
REHACARE Düsseldorf im Überblick:
Die REHACARE ist die weltweit führende Fachmesse für Rehabilitation und Pflege. Sie bietet jährlich im Herbst auf dem Düsseldorfer Messegelände einen repräsentativen Überblick über Hilfen und aktuelles Wissen für ein selbstbestimmtes Leben. Die Fachmesse ist mittwochs bis freitags von 10.00 bis 18.00 Uhr geöffnet, am Samstag von 10.00 bis 17.00 Uhr.
Aussteller und Produkte der REHACARE 2022 unter: https://www.rehacare.de/de/Aussteller_Produkte_2022/Aussteller_Produktsuche
Weitere Informationen und hilfreiche Adressen:
Verbände, Stiftungen und Vereinigungen von Betroffenen können passende Angebote vermitteln, die zu den Bedürfnissen von Reisenden im Einschränkungen passen. Eine Auswahl:
Verband Deutsche Nierenzentren (DNEV): Dialysepatienten finden auf der Homepage www.dnev.de, Unterpunkte Patienten / Feriendialyse Angebote von Dialysepraxen in Ferienorten (auch international).
Deutsche Sauerstoff- und Beatmungsliga (LOT): Auskünfte und Ferienberichte für Menschen mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) gibt es auf der Homepage www.sauerstoffliga.de, Unterpunkte O2 Infothek, Unterwegs mit Sauerstoff. Informationen gibt es auch bei den Lungenärzten im Netz, www.lungenaerzte-im-netz.de, Suchwort Reisen. Der Verein COPD Deutschland hat eine Patientenbroschüre zum Reisen herausgegeben: www.copd-deutschland.de.
Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV): Die wichtigsten Fragen und Antworten für Blinde und Sehbehinderte, die auf Reisen gehen wollen, hat der Verband auf seinen Seiten zusammengestellt - www.dbsv.org, Internationales Engagement, Reisen in Europa.
Deutsche Herzstiftung: Auf den Seiten der Deutschen Herzstiftung finden sich Tipps und Checklisten zum Reisen mit Herzkrankheit sowie zur Auswahl des passenden Ferienortes – www.herzstiftung.de, Unterpunkte Ihre Herzgesundheit, Leben mit der Krankheit, Reisen als Herzpatient.
Alle Betriebe, die nach den Kriterien von „Reisen für Alle“ zertifiziert sind, findet man unter www.reisen-fuer-alle.de.
Reise-Beratung und Information für Menschen mit Einschränkungen: Reisemaulwurf e.V., André Scholz, Telefon 0179 593 54 04, Internet: reisemaulwurf.de
Düsseldorf, 19. Juli 2022