Mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI) wird die Arbeitswelt flexibler – und es eröffnen sich mehr Möglichkeiten für Menschen mit Beeinträchtigungen. Viele Anwendungen werden auf der REHACARE 2024 vorgestellt. Wie die KI konkret helfen kann, Barrieren abzubauen, erklärt Prof. Dr. Jochen Steil vom Institut für Robotik und Prozessinformatik der Technischen Universität (TU) Braunschweig im Interview.
Kann Künstliche Intelligenz grundsätzlich zu mehr Inklusion in der Arbeitswelt beitragen?
Steil: Ja, denn technische Möglichkeiten können Beeinträchtigungen kompensieren. Das gilt etwa für automatisches Vorlesen, die Interpretation von Bildern, Übersetzungen oder das Diktieren von Texten, ohne Tastatur oder Knöpfe nutzen zu müssen. Solche Methoden helfen im Grunde allen Menschen und sie sind auch dafür entwickelt. Sie unterstützen jedoch speziell Menschen mit Beeinträchtigungen.
Wie kann Künstliche Intelligenz dabei helfen, Barrieren am Arbeitsplatz abzubauen?
Steil: Behinderungen entstehen, wenn Beeinträchtigungen auf
Barrieren stoßen, die dann die Entfaltungsmöglichkeiten beschneiden. Das geschieht in der Arbeitswelt zum Beispiel durch komplizierte Anleitungen oder Anweisungen, die nicht verstanden werden. Stattdessen können Abläufe mithilfe von KI auf einfache Weise erklärt werden. So lassen sich nicht nur Informationsdefizite, sondern ebenso Sprachbarrieren abbauen: Die Menschen erfahren, wie etwas funktioniert – auch wenn sie aus einem anderen Land stammen und manche Regeln hierzulande nicht kennen.
Also trägt KI dazu bei, Arbeitsplätze für eine vielfältige Belegschaft zu schaffen?
Steil: Einerseits entstehen dadurch Optionen für Inklusion, andererseits sind durch die Vielfalt der Beeinträchtigungen personalisierte Lösungen notwendig. Nur so werden sie auch akzeptiert. Gerade für schwere Beeinträchtigungen ist der Bedarf an Anpassung in der Regel höher. Das ist vielleicht die größte Schwierigkeit: Wir brauchen technische Systeme, die an die einzelnen Bedarfe angepasst sind und so flexibel sind, dass sie sich über die Zeit weiter adaptieren. Denn körperliche und geistige Fähigkeiten ändern sich. Dann kann es beispielsweise nötig sein, dass sich der Roboter in der Zusammenarbeit langsamer bewegt – und nicht einen Takt vorgibt, bei dem der Mensch, der ihn bedient, irgendwann nicht mehr mithalten kann.
Welche Rolle spielen ethische und rechtliche Überlegungen bei der Entwicklung von inklusiven KI-Systemen?
Steil: Ihre Rolle ist wichtig, denn technische und KI-Systeme können nur assistieren, wenn sie Daten verarbeiten, die auch immer etwas über die Situation, den Menschen und seine Leistung aussagen. Damit eröffnen sich neue
Möglichkeiten der Überwachung und Überprüfung, die beobachtet werden müssen.
Werden KI-Technologien bereits erfolgreich in der Arbeitswelt eingesetzt?
Steil: KI-Technologien werden noch nicht so häufig genutzt, wie es möglich wäre. Neben dem erwähnten Anpassungsbedarf sind ein technik-affines Umfeld und strukturelle Voraussetzungen wie ein gewisses Know-How notwendig, damit technische Lösungen auch wirklich eingesetzt werden. In dieser Hinsicht haben wir in Deutschland großen Nachholbedarf. Akademische Forschungsergebnisse werden oft nicht in echte Produkte umgesetzt, erst recht nicht für den Massenmarkt.
Nichtsdestotrotz sehen wir gerade viele Veränderungen, zum Beispiel durch den Einsatz von generativer KI, die etwa auf Basis von Eingaben neue Bilder oder Videos erstellt. In Zukunft werden wir voraussichtlich mit Maschinen sprechen
können – und diese können sich erklären, auch in verschiedenen Sprachen. Das kann auch der Inklusion helfen.