Bei der LWL-Messe der Inklusionsunternehmen am 15. März in der Messe Dortmund präsentieren sich Firmen, die der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) bei ihrer Arbeit unterstützt. Eines der Inklusionsunternehmen hat seinen Sitz in Münster.
Bei der Einkehr im Münsteraner Hotel "Haus vom Guten Hirten" fällt gar nicht auf, dass es sich um einen Inklusionsbetrieb handelt. Wie das Konzept aber die ganze Arbeit prägt, offenbart ein Blick hinter die Kulisse.
Seit 2009 wird das Hotel vom Guten Hirten inklusiv geführt. 13 der 18 Beschäftigten haben eine Behinderung oder eine Gleichstellung. "Wir leben das hier", erzählt Hoteliers und Prokurist Kai-Uwe Kersten. Ein Besuch im Hotel zeigt, was hinter der Aussage steckt. Inklusion ist nicht nur ein Faktor für die Belegschaft, sondern das gesamte Hotel ist barrierefrei gestaltet. Nach dem Prinzip "Reisen für alle" wird hier Inklusion für Gäste und Mitarbeiter*innen möglich gemacht.
Im Grün von Münsters Mauritzviertel befindet sich das Hotel in dem ehemaligen Schwesternhaus, das in gleichnamiger Trägerschaft ist. Es grenzt direkt an die soziale Einrichtung der Schwestern vom Guten Hirten, die ebenfalls vom Haus geführt wird. "Früher war hier ein Kloster, mit riesigen Mauern um die ganze Anlage", so Kersten. Die Schwestern kümmerten sich um Frauen, die aus der Gesellschafft ausgestoßen wurden und gaben ihnen die Möglichkeit, sich durch eine Berufsausbildung selbstständig zu machen. Mittlerweile sind die Mauern weg – der Grundgedanke blieb bestehen.
2009 wurde das Gästehaus der Schwestern in ein Hotel umgebaut. Sema Franke, die schon seit Jahrzehnten in der Ordensgemeinschaft der Schwestern vom Guten Hirten tätig und auch Inklusionsbeauftragte des Hotels ist, erinnert sich an die damaligen Überlegungen: "Der soziale Grundgedanke musste berücksichtigt werden, es sollte mehr sein als 'nur' ein Hotel."
Getragen wird die Arbeit im Haus vom Guten Hirten vom gleichen Leitbild wie das damalige Kloster. Es geht darum, "den Menschen als ganzheitliche Persönlichkeit zu sehen und ihm so zu begegnen, dass sich jeder in seiner Einmaligkeit und seiner Würde erfahren kann und ihn so zu begleiten, dass er seine Begabungen und Begrenzungen als Chance sieht", wie es im Leitbild heißt.
Dieses Leitbild bestimmt die Praxis und das Tagesgeschehen. Kleine Fehler, wie die eine Falte im Bettbezug oder ein Messer auf der falschen Tischseite, kommen zwar vor, sind aber Teil des Gesamtwerks. "Der Fehler ist auch gewollt und darf auch sichtbar sein, für die Gäste", bekräftigt Hotelleiter Kersten die Arbeit seines Personals. Ein Prinzip, das sich auszahlt: Seit zwei Jahren ist man Drei-Sterne-Hotel, laut Kersten war der Standard schon lange vorher da. Eine Bestätigung des Konzepts. Das Feedback sei rundum gut, die Gäste schätzen die geräumigen Zimmer, die ruhige Lage, das ausgiebige Frühstück und das zuvorkommende Personal. Den Gästen fallen kleinere Makel oft nicht auf, bei Missverständnissen wird erfolgreich vermittelt.
Gerade bei der Barrierefreiheit macht sich das Leitbild in der Arbeit bemerkbar. Gäste können ihre Behinderung im Vorfeld mitteilen, sodass das Hotel auf individuelle Bedürfnisse Rücksicht nehmen kann. Rollstuhlfahrenden wird beim Eindecken mehr Platz eingeräumt, den Begleitpersonen werden Organisation und Betreuung zu gewissen Teilen abgenommen und auch kleine Pflegeleistungen bietet das Hotel an.
Das Hotel geht auf die individuellen Bedürfnisse ein: Ein langjähriger Stammgast konnte die Reise zu seiner Familie in Münster wegen einer Schwerbehinderung nur unter hohem Aufwand bewältigen. Durch die Anschaffung eines Pflegebetts und dem einhergehenden Pflegeangebot hat das Hotel den Trip deutlich vereinfacht – und aus dem Besuch wurde Urlaub.
Marjam Said ist an der Rezeption. Die 23-Jährige hat eine Hörbehinderung – eine Behinderung, die in der Regel nicht jedem auffällt. Die Hörgeräte verschwinden unter ihrem Kopftuch und auch die Glasfront der Rezeption ist dem gegenseitigen Verständnis nicht immer zuträglich. Aber auch diese Hürden werden genommen. "Manchmal müssen sich die Gäste eben wiederholen", fasst es die Rezeptionistin selbstbewusst zusammen. Aber da gebe es keine Probleme.
Man muss sich trauen zu fragen – auch eine Kompetenz, die im Haus miteinander entwickelt wird. "Es geht auch um Selbstverständlichkeit", findet Sema Franke. Wenn beide Seiten offen mit dem Thema umgehen können, wird es normal. Sie erlebt die Gäste als aufgeschlossen und bereit für dieses offene Miteinander. "Das wird akzeptiert."
Auch für die Belegschaft scheint das Konzept aufzugehen. Die Umgestaltung 2009 sollte laut Franke schließlich auch die beruflichen Perspektiven der inklusiven Belegschaft grundlegend miteinbeziehen. Marjam Said wollte ursprünglich eine Ausbildung im Einzelhandel machen, wo sie keinen Platz fand. Zusammen mit dem vom LWL beauftragten örtlichen Integrationsfachdienst, fand sie einen Praktikumsplatz im Hotel und konnte eine Ausbildung zur Hotelfachfrau beginnen. Sie hätte auch eine theoriereduzierte Ausbildung machen können. Sie wählte aber die deutlich schwerere Variante. Denn ihr waren die verschiedenen Möglichkeiten wichtig, die sie damit hat. "So kann ich auch weitere Chancen kriegen", sagt sie, "mir war es sehr wichtig eine abgeschlossene Ausbildung zu haben." Said hat die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und wurde direkt übernommen. Durch ein Händchen für Computer und ihre hohe Kontaktfreudigkeit war sie wie geschaffen für die Arbeit an der Rezeption. Für die Zukunft hat sie nun Optionen, für den Moment ist sie zufrieden: "Alles in allem macht es einfach voll Spaß."
Stefanie Frie kann dem nur beipflichten. Sie arbeitet hauptsächlich im Service und ist schon 21 Jahre im Unternehmen. Sie steht im Restaurant und macht die letzten Handgriffe mit einem Lächeln im Gesicht. "Ich habe einfach gerne Menschen um mich", erzählt die 51-Jährige, "und wenn die Gäste morgens schon mit guter Laune zum Essen kommen, muntert das auf."
Generell ist das Miteinander essenziell für das gute Arbeitsklima. "Man unterstützt sich gut", berichtet Frie. Was dem Einen vielleicht nicht gut gelingt, kann vom Anderen aufgefangen werden. "Wir gucken, wie die Teams zusammengesetzt werden müssen, damit sich das unterstützt", beschreibt Kersten das Tagesgeschäft. Man müsse sich nur darauf einlassen und bereit sein, mit anzupacken: "Es ist ein Mitmachhotel. Und meine Erfahrung ist, dass man sehr viel mehr wieder zurückbekommt, als man glaubt."
In den kommenden Jahren werden Teile des Gebäudes abgerissen und das umliegende Gebiet neugestaltet. Kersten freut sich auf die neuen Berührungspunkte und Synergien, die sich entwickeln können. Wer Angehörige im Wohnheim besuchen will, kann im Hotel bleiben. Für die Menschen in den Einrichtungen kann durch neue Restaurants oder Bistros etwas Abwechslung in den Tageshöhepunkt Abendessen kommen, den man gemeinsam und interessanter erleben kann. Dadurch wird das Leben für die Gäste, Bewohner und ganz Mauritz gemeinschaftlicher, inklusiver und offener – die Mauern sind weg.
REHACARE.de; Quelle: LWL