Wann haben Sie das letzte Mal herzhaft gelacht und worüber?
Jennifer Sonntag: Gestern über mich selbst, weil ich in der Eile die Bodylotion mit der Haarwäsche verwechselt habe. Hektik und Blindheit sind nicht die optimalen Partner…
Was wollten Sie schon immer einmal machen und warum haben Sie sich bisher nicht getraut?
Jennifer Sonntag: Ehrlich gesagt, sind das eher so kleine romantische Träume, alles was nichts mit Öffentlichkeitsarbeit und Rampenlicht zu tun hat. Früher habe ich immer gedacht, in meinem Leben fühlt sich irgendwas besonders spannend an, wenn man modelt, Bücher schreibt, im Fernsehen auftaucht oder vor vielen Menschen spricht. Aber das sind für mich persönlich nicht die Vehikel zum Glück.
Für mich als Blinde ist es schon manchmal eher ein völlig verrücktes Wagnis, mir ganz normale Dinge zu wünschen und mich zu trauen, denn sie werden immer zu etwas Abgefahrenem, da man ja stets kreative Lösungen finden muss, gibt es doch genug Barrieren. Und einfachste Dinge fühlen sich schon manchmal wie ein ziemlich extravagantes Hobby an. Sportliche Herausforderungen eben. Ich möchte zum Beispiel gerne einen eigenen, so richtig verwunschenen Hexenkräutergarten haben, mit windschiefem Häuschen und allem was ich brauche, um meine "dunklen Leidenschaften" zu leben. Als Blinde einen Garten zu unterhalten, ist jedoch nicht einfach. Da ist es in meinem Fall vergleichsweise leichter, Bücher zu schreiben oder Prominente zu interviewen. Noch so eine überwältigende Sache ist für mich das Radfahren, weil ich es eben nicht selbstständig kann. Deshalb sind die Ausflüge mit meinem sehenden Partner und unserem Paralleltandem für mich ein ganz neues Stück Lebensqualität und Vertrauen Lernen – das kann ich nämlich als Kontrollfreak nicht sehr gut.
Außerdem setzen wir aktuell und hoffentlich auch zukünftig gemeinsam mit anderen Künstlern die erotischen Texte aus unserem Buch "Liebe mit Laufmaschen" in sinnliche Kohlezeichnungen um und das ist auch nicht das unkomplizierteste Hobby für eine Blinde. An Zeichenutensilien habe ich mich seit meiner Erblindung nicht mehr herangetraut, da ich dadurch zu schmerzlich an den Sehverlust erinnert wurde. Nun versuche ich das Thema "lustvoll" anzugehen und mit verschiedenen Techniken zu experimentieren.
Welcher Mensch hat Sie bisher am meisten beeinflusst? Und warum?
Jennifer Sonntag: Da ich mich ja ständig entwickle, sind das immer andere Menschen. Musik hat für mich immer eine große Rolle gespielt und die damit verbundenen Helden. Von der Punk- zur Gothic-Szene bin ich da über so Einiges gestolpert. Gut, dass ich mittlerweile aus Sid Vicious rausgewachsen bin. Personen, die ich zu einer bestimmten Zeit angehimmelt habe, weil sie für diese Lebensphase genau die richtige Antwort auf meine Fragen waren, konnten sicher ein entscheidendes Trittbrett auf meiner Erkenntnisleiter sein, hängen aber heute nicht mehr als Poster an meiner Wand.
Oft sind es Menschen, die Bücher geschrieben haben, oder über die Bücher geschrieben worden, welche mich inspirieren oder beeinflussen. Meist Frauen, die unkonventionell sind oder waren, vielleicht auch immer ein bisschen abgründig, symbolisch gesprochen, mit Laufmaschen in den Lebensgeschichten, weil mich das Perfekte nie reizte. Beeinflussung ist dabei aber auch immer ein aktiver Prozess, da ich selber ja die Menschen auswähle, die ich für meine "inneren Lichtschalter" relevant finde. Im künstlerischen Bereich sind es zum Beispiel Brigitte Reimann, Anais Nin und Frida Kahlo, die in mir Spuren hinterlassen haben. Im wahren Leben halte ich Ausschau nach Menschen, die irgendwie schräg, irgendwie anders sind und Bedeutendes zu sagen haben. Familiär betrachtet waren es meine Eltern und meine Oma, die mein Verständnis von Geborgenheit, Vertrauen und Zuverlässigkeit stark prägten.
Ein Mensch, den ich kommunikativ, kreativ und emotional sehr schätze, ist mein Partner. Auch wenn leidenschaftliche Beziehungen bekanntlich auch nicht selten Leiden schaffen. Aber ich finde nichts unbeeindruckender als langweilige Menschen, deshalb ist das wohl der Preis, den man zahlen muss.
Sie haben die Chance Bundesbehindertenbeauftragte/r zu werden. Was wäre Ihre erste Amtshandlung?
Jennifer Sonntag: Eine Weinverkostung in der Unsicht-Bar, mit behinderten Menschen aller Couleur, um ungehemmt und ganz unpolitisch mit ihnen über das zu reden, was sie wirklich wollen.
Nein, ganz im Ernst, da würden sehr anspruchsvolle Aufgaben auf mich warten und ich bräuchte erstmal einen Überblick und eine ordentliche Einarbeitung. Und dann wäre ich schon mitten drin in der Recherche und Detailarbeit, weil ich Oberflächenpolitik unbedingt vermeiden wollen würde. Das kann viel Geld kosten und sehr sinnlos sein. Vermutlich würden mir die Ohren sausen, weil mir meine Sprachausgabe zunächst eine riesige Agenda vorlesen müsste und ich mir viel zu viel vornehmen würde. Vielleicht sollte die erste Amtshandlung also auch das Aufbrühen eines Beruhigungstees sein? Ich habe großen Respekt vor diesem Job! Verena, du machst das super!