So tickt Jesi Stracham

Jesi Stracham sitzt im Rollstuhl und hat damit kein Problem: Über die Jahre hat sie gelernt, sich selbst zu akzeptieren, wie sie ist, und sich von gesellschaftlichen Erwartungen zu lösen – sie will sich keine Stempel mehr aufdrücken lassen. Wie sie es zu diesem Mindset geschafft hat, warum für sie jeder Tag ein guter Tag ist und wie sie sonst so tickt, verrät sie auf REHACARE.de.

Was macht einen Tag für Sie zu einem guten Tag?

Jesi Stracham: Es hat eine Weile gedauert, bis ich diese Frage beantworten konnte. Ein guter Tag ist jeder Tag, an dem ich am Leben bin. Versteht mich nicht falsch: Kleine Unannehmlichkeiten können Frustration bringen, aber ich kann wirklich sagen, dass ich ein gutes Leben lebe. Tägliche Dankbarkeit dafür, wie gut unser Leben ist, macht jeden Tag zu einem guten Tag. 

Welche Hilfsmittel oder Alltagshilfen sind für Sie unverzichtbar?

Jesi Stracham: Mein Rollstuhl und die AxioBionics Wearable Therapie sind die beiden wichtigsten Geräte, die ich benutze. Mein Rollstuhl gibt mir offensichtlich Freiheit. Meine AxioBionics Wearable Therapy hat mir geholfen, den Muskelabbau in meinen Gesäßmuskeln und Oberschenkeln zu reduzieren – zusätzlich zur Reduzierung von Spasmen und Nervenschmerzen. Die Wearable Therapy ist eine elektrische Kurzstimulation. 

Was würden Sie sich von der Gesellschaft und Ihren Mitmenschen im Umgang mit Menschen mit Behinderung wünschen? 

Jesi Stracham: Von der Gesellschaft: Macht uns nicht behinderter als wir sind. Wenn wir euch nicht darum bitten, brauchen wir eure Hilfe nicht. Eure Wahrnehmung unseres Lebens ist nicht unsere Realität. Und an diejenigen, die Kinder haben: Eine Behinderung ist nicht ansteckend. Erlaubt ihnen, Fragen zu stellen. So lernen sie.

Von Menschen mit Behinderungen: Lasst nicht zu, dass die Sichtweise der Gesellschaft auf euch eure eigene Sichtweise auf euch verändert. Es gibt mehr als sieben Milliarden Menschen auf der Welt, von denen etwa 15 Prozent eine Behinderung haben. Ich weiß, dass ich Rollstuhlnutzende in meiner Vorstellung in eine "Opfer-Rolle" gesteckt habe, bevor ich anfing, selber mit Rollstuhl zu leben. Lasst euch nicht darauf ein und erwartet nicht, dass die Leute wissen, was ihr braucht. Wir müssen unsere Stimme nutzen, um uns für Veränderungen einzusetzen. Bevor man jemanden mit einem Etikett versieht – was in der Regel eine weitere Kluft schafft – sollte man erklären, warum die Situation nicht funktioniert.

Welches Hilfsmittel müsste dringend erfunden und/oder verbessert werden?

Jesi Stracham: Vorbeugende Gesundheitsfürsorge. Hört auf, uns dazu zu bringen, verletzt oder krank zu werden, bevor ihr die medizinische Versorgung abdeckt, die verhindern würde, dass wir überhaupt erst verletzt oder krank werden. Dies ist ein falscher Kreislauf, der angegangen werden muss.

Was war bisher Ihre größte Herausforderung, die Sie gemeistert haben – und was hat Ihnen dabei geholfen?

Jesi Stracham: Selbstakzeptanz. Behinderung oder nicht – viele Menschen akzeptieren nie, wer sie sind, oder finden niemals einen Sinn. Durch kontinuierliche Arbeit – körperlich und geistig – und zusätzlich dazu nicht mehr darauf zu achten, was andere von mir denken, habe ich wahre Selbstakzeptanz gefunden. 

Was kann die Hilfsmittelbranche aus der Corona-Pandemie lernen, um zukünftig das Leben von Menschen mit Behinderung zu erleichtern beziehungsweise zu verbessern?

Jesi Stracham: Vergessen wir Corona für eine Minute: Die Hilfsmittelbranche könnte lernen, Menschen mit Behinderung zu fragen, was ihr Leben tatsächlich einfacher machen würde, anstatt etwas zu erschaffen, von dem sie "denken", dass es es einfacher machen würde. Wir leben dieses Leben täglich, wir sind die perfekte Ressource. 

Wenn nichts unmöglich wäre: Wen würden Sie gerne einmal treffen und warum?

Jesi Stracham: John F. Kennedy. Er war nicht nur ein Kriegsheld, sondern kämpfte auch für den Civil Rights Act. Ich glaube, dass er ein unglaublicher Verbündeter für die Behindertengemeinschaft wäre. 

Was war Ihr schönstes REHACARE Erlebnis?

Jesi Stracham: Ich bin noch nie dort gewesen. 

Was ich noch sagen wollte …

Jesi Stracham: Wir haben nur ein Leben. Das Beste daran ist: Wir selbst haben die Kontrolle darüber. Hört auf, euch Gedanken darüber zu machen, was andere denken, und fangt an, euer Leben für euch selbst zu leben. Das Loslassen des Urteils darüber, wer wir denken, wer wir aufgrund gesellschaftlicher Normen sein sollten, ist eines der mächtigsten Werkzeuge, die wir haben.