Kesslers Mutter erkrankte bereits in seiner frühen Kindheit an MS. Lange Zeit hat er diese Diagnose verdrängt, sich dann jedoch entschlossen, die Erkrankung und ihre Auswirkungen besser verstehen zu wollen. In seinem Film porträtierte er sieben Gesichter und ihre Geschichten.
Herr Kessler, Sie sind mit der Krankheit Ihrer Mutter aufgewachsen. Wann sind Sie auf die Idee gekommen einen Dokumentationsfilm zu machen?
Jann Kessler: Das war ein langer Prozess, denn in meiner Kindheit war das Filmemachen für mich eines von ganz vielen Hobbys, welche mir dabei halfen, nicht zu Hause zu sein, die durch Mamas MS entstandenen Schwierigkeiten zu vergessen. Erst im Alter von etwa 16 Jahren realisierte ich, wie wenig ich über sie und ihre Krankheit wusste. Unterdessen war ihre MS bereits so fortgeschritten, dass sie nicht mehr klar sprechen konnte. Also begab ich mich mit 17 auf die Suche nach anderen Menschen mit dieser Krankheit, um ihnen zuzuhören. Anfangs war das Mitnehmen der Kamera nur eine Ausrede, erst später begann ich, wirklich zu filmen.
Viele Menschen, die Multiple Sklerose haben, reden nicht gerne über ihre Erkrankung. Warum ist es Ihrer Meinung nach wichtig, sich mit der Diagnose
und ihren Auswirkungen auseinanderzusetzen?
Kessler: Als Kind erlebte ich, wie Mama sich nie zu ihrer Krankheit äußern konnte. Dadurch war es mir häufig unmöglich, sie und ihre Entscheidungen zu verstehen. Wir alle fühlten uns dadurch alleine gelassen, wohl auch Mama. Unterdessen durfte ich viele weitere Menschen mit MS kennenlernen, welche einen sehr offenen Umgang damit pflegen. Nur so erhält das Umfeld die Chance, den Betroffenen zu unterstützen, einen gemeinsamen Weg mit der Krankheit zu beschreiten. Aber das braucht manchmal sehr viel Mut.
Wie haben Sie die Menschen kennengelernt, die Sie im Film porträtieren?
Kessler: Viele über Freunde und Bekannte, denn man muss gar nicht so lange suchen, bis man auf weitere MS-Betroffene trifft. Zusätzlich hat die Schweizer MS-Gesellschaft dazu aufgerufen, sich bei mir bezüglich des Projekts zu melden. Insgesamt kam ich so in Kontakt mit über 40 Menschen. Mir war es wichtig, möglichst unterschiedliche Formen der MS zu zeigen, Leute zu begleiten, denen man die Krankheit nicht ansieht, genauso wie stärker betroffene. Auch im Umgang gibt es große Unterschiede: Manche Menschen konfrontieren sich sehr stark und beschäftigen sich mit allen möglichen Folgen durch die MS, andere wollen im Moment leben und sich nicht zu sehr mit der MS auseinandersetzen. Ich habe versucht zuzuhören und zu verstehen. Wir haben ganz oft auch über alle anderen Dinge als MS geredet und unheimlich viel Spaß gehabt.