Herr Dr. Danner, was bedeutet die Corona-Krise für Menschen mit Behinderung und/oder chronischer Erkrankung?
Dr. Martin Danner: Man darf nicht vergessen, dass viele Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung in dieser Pandemie einer besonderen Risikogruppe zugeordnet werden. Dementsprechend groß ist bei vielen die Sorge vor einer Infizierung mit dem Virus. Einschränkungen, Abstandsregelungen und eine besondere Vorsicht führen dazu, dass ein Großteil persönlicher Entfaltungs- sowie Kontaktmöglichkeiten wegfällt. Das betrifft sowohl den Austausch untereinander, wie er zuvor beispielsweise in der Selbsthilfe stattgefunden hat, als auch den Kontakt zu Angehörigen. Einsamkeit und Ausgrenzung waren und sind wichtige Themen in dieser Krise.
In einer besonderen Situation befinden sich auch Schüler*innen. Selbstverständlich ist es schön, wenn die Schulen jetzt wieder geöffnet haben. Für Schüler*innen mit chronischen Erkrankungen allerdings bedeutet die Öffnung, dass sie und ihre Angehörigen abwägen müssen: Gehen sie das Risiko ein, am Unterricht teilzunehmen, oder bleiben sie dem Unterricht fern und verzichten so auf Bildungschancen. Normalerweise sollte es ja so sein, dass für diese Schüler*innen im Homeschooling dieselben Anstrengungen unternommen werden, wie es zu der Zeit war, als die Schulen noch komplett geschlossen waren. Aber man merkt jetzt gerade, wie schnell sie vergessen werden.
Wie werden Menschen mit Behinderung Ihrer Einschätzung nach in aktuellen Debatten rund um die Corona-Krise berücksichtigt?
Dr. Danner: Momentan kann man beobachten, dass überall über Lockerungen gesprochen wird, aber kaum mehr über die Risikogruppen. Andererseits hat die Pandemiesituation die Themen Diskriminierung und Ausschluss noch einmal ganz anders in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt. Personen, die vorher noch nie mit Ausgrenzung zu tun hatten – wie beispielsweise die Menschen aus dem Kreis Gütersloh – haben auf einmal erlebt, wie es ist, in bestimmten Urlaubsgebieten nicht willkommen zu sein. Die Coronakrise hat die Gesellschaft für gewisse Themen sensibilisiert. Jetzt müssen Menschen mit Behinderung deutlich machen, dass sie auch unabhängig von der jetzigen Pandemie von den Problemen Eingrenzung und Ausschluss betroffen sind. Man kann nur hoffen, dass ein Lerneffekt und eine dauerhafte Sensibilisierung in der Gesellschaft stattfinden werden.