Inwiefern kann der Tastsinn dabei helfen, dass Prothesenträger keine Phantomschmerzen haben?
Schulz: Eine Rückmeldung für die Greifkraft vermitteln wir über die Vibrationssignale in der Hand an den Prothesenträger. Sie stimuliert den sensormotorischen Cortex, was dabei helfen kann Phantomschmerzen – sofern vorhanden – zu reduzieren. Das funktioniert ähnlich wie bei der visuellen Stimulation bei der Spiegeltherapie, bei der der fehlende Arm durch den gesunden Arm, über einen Spiegel, simuliert wird.
Zusätzlich bietet VINCENT Systems auch Kinderhandprothesen an. Inwiefern sind Kinderprothesen die Königsdisziplin der Prothetik?
Schulz: Kinderprothetik ist eine besondere Herausforderung, da die Komponenten der Prothese im Gegensatz zu den Erwachsenenprothesen noch einmal deutlich verkleinert werden müssen. Greifkraft, Geschwindigkeit und Robustheit müssen aber auf dem gleichen Niveau einer Erwachsenenhand bleiben. Natürlich muss wegen der Miniaturisierung auch das Gewicht deutlich verringert werden. All das zusammengenommen ist somit eine große technologische Herausforderung.
Außerdem zeichnet Ihre Firma das Baukastensystem aus. Was hat es damit auf sich und was sind im Bereich der Teilhandprothetik Probleme, die auftreten?
Schulz: Das Baukastensystem kommt bei der Teilhandprothetik zum Einsatz. Die Stumpfsituationen beim Prothesenträger sind hier sehr individuell. Es müssen einzelne Finger oder Daumen, bis zum Fehlen von ganzen Teilen der Hand ersetzt werden. Das funktioniert nur, wenn eine Prothese individuell nach den anatomischen Gegebenheiten des Patienten zusammengestellt werden kann. Die Lösung besteht darin, die motorgetriebenen Einzelfinger über individuelle Rahmenstrukturen an den Patienten anzupassen. Steuerungselektronik, Sensorik und Batterien können dabei individuell platziert werden. Dem kommt eine Neuerung zugute, mit der die Batterien erstmalig in eine anatomische Form geknetet werden können. Durch ein innovatives USB-Ladesystem können unsere Batterien jederzeit auch stromnetzunabhängig nachgeladen werden, wodurch der Prothesenträger eine längere, unabhängige Nutzungsdauer seiner Prothese beanspruchen kann.
Sie haben ein innovatives Produkt, was als eines von drei finalen Projekten für den Deutschen Zukunftspreis nominiert war, und sind auch auf dem US-amerikanischen Markt aktiv. Wie sieht denn die Zukunft von VINCENT Systems und von funktionalen Handprothesen generell aus?
Schulz: Wir haben im Bereich der Prothetik noch viel vor und wollen als innovatives Unternehmen zu einem stetigen technologischen Fortschritt in der Prothetik beitragen. Es macht Spaß, an neuen Technologien zu arbeiten und gleichzeitig ist es unglaublich motivierend, die Lebensqualität von vielen Menschen verbessern zu können. Die Ideen für neue Produkte werden uns daher nicht ausgehen.