Digitalisierung und Robotik in der Hilfsmittelbranche

Die Themen Digitalisierung und Robotik werden für uns im Alltag immer greifbarer und in vielen Fällen bereichern sie unser Leben. Auch für Menschen mit Behinderung sind sie eine große Unterstützung. Sprachcomputer können Menschen ohne Sprachfähigkeit wieder eine Stimme geben, Apps helfen dabei Hörgeräte zu steuern. Und auch Pflegeroboter helfen in dem ein oder anderen Senioren- und Pflegeheim bereits aus. Wie also ist es um die Digitalisierung und Robotik besonders im Bereich der Hilfsmittel bestellt und was kommt bei Menschen mit Behinderung wirklich an?

Das Thema Digitalisierung beschäftigt auch REHACARE.de bereits seit einigen Jahren. Viele Ausstellende stellen jährlich ihre Neuerungen vor. Oftmals bekommen althergebrachte Geräte ein überarbeitetes, digitales Upgrade. Dies wurde in den letzten Jahren besonders im Bereich der Physiotherapie auf der REHACARE deutlich. Ein Video dazu finden Sie hier: Rehabilitation – Mobil werden mit virtuellen Welten und Robotik  

Auch im Bereich der Kommunikationshilfsmittel lassen sich deutliche Fortschritte beobachten. Zwar gibt es weiterhin nützliche statische Hilfsmittel wie Buchstaben- und Symboltafeln, doch immer mehr Apps und spezielle Software kommen hinzu, die Menschen mit Sprach- oder Kommunikations-Einschränkungen dabei helfen sich auszudrücken.

Ein ganz besonderes Gerät für blinde Menschen oder mit schweren Sehbehinderungen ist das mobile Vorlesegerät OrCam MyEye. Es wird am Brillenbügel befestigt und ermöglicht das „Lesen“ von Schildern, Büchern, Speisekarten und anderen Texten. Auch Geldscheine und Gesichter können erkannt werden. Ein selbstständiger Alltag wird so wieder möglich.

Hier im Video können Sie mehr erfahren:

Digitale Hilfsmittel bieten auch im Bereich der Mobilität neue Möglichkeiten: Intelligente Rollstühle und Prothesen unterstützen Anwendende, indem Sensoren Daten aufnehmen und weiterverarbeiten. So können die Hilfsmittel ganz individuell unterstützen und bieten oftmals eine bessere Steuerung.

Eine Firma, die sich der Verbesserung der Mobilität von Menschen mit Behinderung verschrieben hat, ist Ottobock SE & Co. KGaA. Hier arbeitet zum Beispiel Senior Produktmanager Dr. Arne Hothan an einem intelligenten Kinder-Rollstuhlsitz. Das Projekt, welches vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird, startete 2021. Dr. Arne Hothan: "Anvisiert werden im Projekt Nutzende mit starken Körperdeformationen – zum Beispiel Skoliosen, Lordosen, Kyphosen, Beckenschiefstände und -rotationen, die insbesondere bei den Indikationen Zerebralparese, Spina Bifida, MA, MD auftreten. Es ist gelungen ein Funktionsmuster aufzubauen, welches die Anpassung des Sitzes an einen Großteil der Empfänger*innen von Individualsitzschalen ermöglicht, welches über die Analyse von hunderten Versorgungsdaten sichergestellt wurde."

Erste Erfolge, wie der Nachweis eines Funktionsprinzips, konnten bereits erreicht werden. Im nächsten Schritt sollen die geeignete Sensorik implementiert sowie eine Nutzerschnittstelle programmiert werden. Hothan: "Mit dem im Projekt erarbeiteten Produkt ist es möglich, eine optimale Haltungsunterstützung, ähnlich der einer Individualsitzschale zu erreichen. Darüber hinaus lässt sich die Positionierung im Laufe des Tages variieren. Hierdurch soll die Dauer der Nutzung über den Tag verlängert und damit die soziale Teilhabe verbessert werden. Gleichzeitig erhoffen wir uns, durch Sensorik-Unterstützung die Risiken von Druckgeschwüren zu reduzieren und den Sitzkomfort zu verbessern. Auch kann man das System bei Veränderung des Krankheitsbildes sowie bei Wachstum nachjustieren und damit die Versorgung auch über die Zeit verbessern."

Der Sitz soll auf geeignete Rollstühle oder Reha-Buggies montiert werden können. Die Zielgruppe hierfür sind Kinder im Alter zwischen 6 und 12 Jahren.

Einen anderen Ansatz verfolgt Dr. Matthias Ponfick vom Querschnittzentrum Rummelsberg. Er arbeitet im Team mit anderen Forschenden daran, Prothesen intelligenter beziehungsweise lebensechter zu machen. So soll die Robotik dabei helfen, Armprothesen zum Beispiel greifen zu lassen – leider noch immer keine Selbstverständlichkeit, da viele Prothesen starr sind.

Ponfick hofft durch den neuen Ansatz die Lebensqualität für Menschen mit Behinderung deutlich verbessern zu können: "Es ist ein komplett neuer Ansatz, dass man versucht mit Biorobotik kontrollierbare Prothesen zu erhalten. Das ist revolutionär und gibt es so noch nicht. Dafür braucht man die Basiswissenschaften, die Elektrotechnik und auch KI-Programmierende. Ich denke ein Mensch mit Behinderung gehört nicht an den Rand der Gesellschaft, sondern gehört in die Mitte der Gesellschaft! Es ist unser gesamtgesellschaftlicher Auftrag, das mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu erzielen. Und wenn sich aus verschiedenen Spezialgebieten Menschen zusammentun, um für andere, die einen Schicksalsschlag erlebt haben, etwas gemeinsam zu verbessern, dann finde ich das phänomenal."

Wer sich die wissenschaftlichen Einzelheiten zum Projekt genauer anschauen möchte, kann dies auf dem Portal der Messe Düsseldorf für die Medizintechnik-Messe MEDICA tun. Hier geht es zum Video!

Alle Technik nützt jedoch nichts, wenn sie letztlich nicht bei den Menschen ankommt, die diese Hilfe benötigen. Andererseits stellt sich bei manchen Entwicklungen auch die Frage, ob sie wirklich so gut sind, wie sie angepriesen werden. Aus diesem Grund hat die ETH Zürich mit den CYBATHLON Challenges einen Wettbewerb geschaffen, der von Anfang an Forschende, Entwickelnde und Anwendende zusammenbringen möchte. Die nächste Challenge dazu findet wieder 2024 in Zürich statt, doch auf der diesjährigen REHACARE 2023 wird es eine Auftaktveranstaltung geben. Informationen hierzu werden auf REHACARE.de folgen. Wer sich bereits jetzt einen Eindruck verschaffen möchte, wie zum Beispiel ein Armprothesen-Wettrennen funktioniert – hier ist das Video dazu.

Wer sich für diese und weitere Trends rund um Digitalisierung und Robotik interessiert, sollte natürlich auch die REHACARE 2023 nicht verpassen. Warum? Das lesen Sie im Beitrag: "Digitalisierung und Robotik: REHACARE am Puls der Zeit".