Exoskelette in der Pflege: Wie Technologie Pflegekräfte entlasten und im Beruf halten kann
Exoskelette in der Pflege: Wie Technologie Pflegekräfte entlasten und im Beruf halten kann
03.12.2024
Rückenschmerzen, Überlastung und krankheitsbedingte Ausfälle gehören für viele Beschäftigte zum Alltag. Laut Gesundheitsreport der BKK führen Muskel-Skelett-Erkrankungen zu überdurchschnittlich hohen Fehlzeiten – allein in der Altenpflege waren es 2022 im Schnitt 9,5 Tage pro Jahr und Pflegekraft. Eine technologische Lösung könnte nun dabei helfen, Pflegekräfte zu entlasten: Exoskelette. Doch wie realistisch ist ihr Einsatz in der Praxis?
Exoskelette können Pflegekräfte entlasten.
Exoskelette sind tragbare Stützsysteme, die speziell für körperlich anstrengende Tätigkeiten entwickelt wurden. In der Pflege kommen vor allem sogenannte passive Exoskelette zum Einsatz. Der niederländische Hersteller Laevo entwickelt Exoskelette, die sich speziell für körperlich belastende Tätigkeiten eignen. Im Mittelpunkt steht das Modell Laevo FLEX – ein passives Exoskelett, das ganz ohne externe Energiequellen auskommt und die Rückenmuskulatur gezielt bei anspruchsvollen Tätigkeiten unterstützt. Das Gerät wurde so konzipiert, dass es sich unterschiedlichen Körperformen anpasst, leicht an- und auszuziehen ist und sich problemlos in den Pflegealltag integrieren lässt.
Laevo: Maßgeschneiderte Exoskelette für Pflegekräfte
Lukje Broersma, Pflegekraft und Nutzerin des Laevo FLEX, schildert ihre Erfahrungen: "Das Exoskelett unterstützt mich bei meiner Morgenrunde, die ziemlich anstrengend ist. Ich muss Menschen aus ihren Betten in ihre Rollstühle heben oder sie in den Aufenthaltsraum bringen. Es hilft mir, die Belastung besser von meinem Rücken auf meine Oberschenkel zu verteilen."
Laevo arbeitet derzeit eng mit der niederländischen Pflegegruppe Sevagram zusammen, um ein maßgeschneidertes Exoskelett für Pflegekräfte zu entwickeln. Ziel ist es, ein Hilfsmittel zu schaffen, das nicht nur Rückenschmerzen reduziert, sondern Pflegekräften auch ein längeres, komfortableres Arbeiten ermöglicht.
"Wir beobachten eine hohe Ausfallquote aufgrund von Rückenproblemen, während Pflegekräfte dringend gebraucht werden", erklärt Frank Roost, Projektleiter Innovation bei Sevagram. "Wir glauben, dass das Exoskelett zu einem der Werkzeuge wird, die Pflegekräften helfen, sicher und langfristig in ihrem Beruf zu arbeiten."
Help Tech: Studie zum Einsatz von Exoskeletten in der Pflege
Auch in Deutschland wird intensiv an innovativen Lösungen für den Pflegebereich gearbeitet. In Baden-Württemberg kooperiert der Exoskelett-Hersteller hTRIUS eng mit seinem exklusiven Partner für die Gesundheitsbranche: Help Tech. Diese Partnerschaft ermöglicht es, auf das langjährige Know-how von Help Tech im Gesundheitssektor zurückzugreifen, das aus einem anderen Geschäftsbereich des Unternehmens stammt. Ursprünglich für den Einsatz in der Logistik entwickelt, wurde das BionicBack so optimiert, dass es perfekt den Anforderungen von Gesundheitseinrichtungen entspricht. Es bietet kontinuierliche Unterstützung der Rückenmuskulatur, stabilisiert Bewegungen wie Heben und Bücken und reduziert die Belastung der Wirbelsäule um bis zu 30 Prozent.
Auch wenn es zunächst ungewohnt ist, bringen Exoskelette viele Vorteile für die Arbeit oder Wiedereingliederung von Pflegekräften.
In einer aktuellen Langzeitstudie mit der Diakonie Stiftung Salem testen 14 Pflegekräfte den Einsatz des BionicBack im Alltag. Vorläufige Studienergebnisse zeigen, dass viele Teilnehmende nach einer kurzen Eingewöhnungszeit von einer deutlich besseren Körperhaltung und reduzierten Schmerzen berichten.
Sylvia Fischer, Pflegedienstleitung bei der Diakonie Stiftung Salem, trägt das Exoskelett im Rahmen der Langzeitstudie. Für die Bandscheibenerkrankte ist es eine echte Erleichterung: "Ich möchte bis zu meinem Arbeitsende in der Pflege arbeiten. Ich liebe meinen Beruf. Besonders bei Bewohnern, die körperlich schwach sind und Unterstützung beim Gehen benötigen, fallen viele Aufgaben an, die meinen Rücken belasten. Das Exoskelett hilft mir, rückengerechter zu arbeiten, meinen Rücken zu entlasten und mit einem geraden Rücken zu arbeiten. Am Anfang war es ungewohnt, das Exoskelett zu tragen. Sowohl ich als auch meine Muskulatur mussten sich erst anpassen. Aber ich habe festgestellt, wenn ich das Exoskelett trage, habe ich nach dem Dienst weniger Rückenschmerzen als wenn ich es nicht trage."
Prävention und Wiedereingliederung
Exoskelette können auch eine Rolle in der Wiedereingliederung von Pflegekräften spielen, die ihren Beruf wegen körperlicher Beschwerden vorübergehend verlassen mussten. Arbeitgebende berichten von positiven Erfahrungen, wenn Exoskelette gezielt eingesetzt werden, um Mitarbeitende nach längeren Ausfällen wieder an ihre Arbeit heranzuführen.
Carolin Mühle von Help Tech erklärt: "Exoskelette tragen dazu bei, Arbeitskräfte zu sichern und können so auch dem Pflegenotstand entgegenwirken. Gerade in der Pflege, wo viele Beschäftigte ihren Job aus Leidenschaft ausüben, aber durch körperliche Belastungen ausfallen, können sie langfristig helfen."
Ein Signal der Wertschätzung
Neben den praktischen Vorteilen könnte die Einführung solcher Technologien auch das Arbeitsumfeld positiv beeinflussen. Einrichtungen, die Exoskelette bereitstellen, zeigen, dass sie sich aktiv um die Gesundheit ihrer Belegschaft kümmern. Dies sendet ein wichtiges Signal in einer Branche, die oft unter schwierigen Bedingungen arbeitet.
"Innovationen wie Exoskelette signalisieren Wertschätzung für die Beschäftigten. Es zeigt, dass Arbeitgeber nicht nur die Belastungen der Pflegebedürftigen, sondern auch die der Pflegekräfte ernst nehmen."
Blick ins Ausland
Während in Deutschland innovative Ansätze wie Exoskelette noch am Anfang stehen, zeigt ein Blick nach Dänemark, dass andere Länder Prävention bereits ernster nehmen: Dort sind Hilfsmittel für Pflegekräfte und Maßnahmen zur Prävention von Rückenerkrankungen bereits Teil des Gesundheitssystems. Deutschland könnte von diesen Konzepten profitieren, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und den Beruf langfristig attraktiver zu machen.
"Ich finde, ein Aspekt wird oft stark vernachlässigt: die Mobilität der Pflegekräfte. Der Fokus liegt meist darauf, die Fähigkeiten der Pflegebedürftigen zu verbessern – beispielsweise durch Hilfsmittel, die ihre kognitive oder motorische Fitness fördern. Dabei wird oft übersehen, dass auch Pflegekräfte selbst unter Beschwerden leiden. Ihre Mobilität ist entscheidend, denn sie beeinflusst letztlich auch die Mobilität der Menschen, die sie betreuen", so Carolin Mühle. "Leider wird für Pflegekräfte in diesem Bereich zu wenig getan. Oft werden Rückenschmerzen als normal oder als allgemeines Gesellschaftsproblem abgetan. Doch gerade für Pflegekräfte, die tagtäglich körperlich beansprucht werden, sollte es gezielte Maßnahmen geben, um sie zu entlasten und ihre Mobilität zu fördern."
Zwischen Technik und Realität
Der Einsatz von Exoskeletten in der Pflege ist vielversprechend, doch es gibt auch Herausforderungen. Die Geräte sind nicht günstig und die Akzeptanz bei den Pflegekräften hängt maßgeblich von einer guten Schulung und einer problemlosen Integration in den Arbeitsalltag ab. Die Pilotstudie der Diakonie Stiftung Salem wird voraussichtlich Ende des Jahres zeigen, in welchen Situationen Exoskelette besonders entlastend wirken und wo ihre Grenzen liegen. Erste Rückmeldungen der Teilnehmenden sind jedoch ermutigend: Die meisten können sich vorstellen, die Technologie dauerhaft einzusetzen.
Exoskelette sind ein fester Bestandteil der REHACARE und werden dort regelmäßig vorgestellt. Die richtige Handhabung ist wichtig, damit die Exoskelette die Nutzenden bestmöglich entlasten können.
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