Umrüstung: Selbstbestimmt mobil dank barrierefreiem VW-Bulli
Umrüstung: Selbstbestimmt mobil dank barrierefreiem VW-Bulli
01.07.2019
Ob im Berufsleben oder auf Reisen – viele Menschen mit Behinderung sind auf ein Auto angewiesen, um unabhängig mobil zu sein. Basierend auf den individuellen Bedürfnissen reicht ein Kleinwagen oft nicht aus. Es muss ein größeres Fahrzeug her – wie beispielsweise ein Kleinbus.
In langjähriger Familientradition reist nun auch Michel Arriens mit seiner Partnerin Franziska Stoldt im VW-Bulli durch die Welt – angepasst auf ihre individuellen Bedürfnisse.
Michel Arriens und Franziska Stoldt leben gemeinsam in Hamburg. Und seit Ende 2018 steht ihr VW-Bulli vor der Tür – ganz individuell angepasst auf ihre Bedürfnisse. Denn da die beiden kleinwüchsig sind, kam ein handelsüblicher VW-Bus für sie nicht in Frage.
"Wir haben anfangs über verschiedene Lösungen und Modelle nachgedacht und beispielsweise auch einen Caddy in Erwägung gezogen", erinnert sich Arriens. "Aber immer wieder hieß die Lösung: Entweder sind keine zusätzlichen Sitze mehr drin oder ich muss meinen Roller hinten ins Auto packen und nach vorne laufen." Diese Variante hatte Michel Arriens allerdings schon viele Jahre mit seinem alten Auto, einem Kombi. Und da er auf sein Hilfsmittel, den Roller, angewiesen ist, – unter anderem um sicher zur Autotür zu kommen – war die Hauptbedingung, dass er mit dem Roller zusammen einsteigen kann. Und das sollte auch im Stadtverkehr gut funktionieren, da Arriens auch beruflich häufig in großen deutschen Städten unterwegs ist.
Individuelle Anpassungen für maximale Barrierefreiheit
Entschieden haben sich Arriens und Stoldt daher für einen Kassettenlift mit einer kleinen Plattform. "Dabei handelt es sich um einen sogenannten Active-Kassettenlift der Firma AMF-Bruns", erklärt André Lönnies vom Mobilcentrum Lönnies, der den Umbau mit seinem Team durchgeführt hat. "Das Ganze wird über eine Funkfernbedienung gesteuert, damit er alles kabellos vom Roller aus bedienen kann."
Aber das war nur eine von vielen Anpassungen, die vorgenommen werden mussten: Der Fahrersitz befindet sich auf einem Transfersitzschlitten, der im Auto hin und her fahren und sich drehen kann und Michel Arriens nach Befestigung seines Hilfsmittels sozusagen entgegenkommt. Um die Sitzfläche etwas zu verkürzen, haben sich die beiden für Sitzkissen entschieden. "Mein Kissen ist zwei Zentimeter schmaler als Michels", erzählt Franziska Stoldt. "Aber wir haben inzwischen festgestellt: Mit leichten Einstellungen am Sitz – Rückenlehne weiter nach hinten oder vorne – brauchen wir nur noch ein Kissen und müssen beim Fahrerwechsel nicht mehr die Kissen ebenfalls wechseln."
Schwieriger, so erinnert sie sich, war es allerdings, das richtige Mittelmaß für die Pedalerie zu finden. "Eingebaut wurde am Ende ein Vorsatzpedalwerk, das modifiziert und angepasst wurde", erklärt Lönnies. "Wir haben mehrere Anproben gemacht und immer wieder sehr individuell justiert. Bis es für beide perfekt passte." Zusätzlich zu diesen Umrüstmaßnahmen wurde außerdem noch ein Drehring am Lenkrad befestigt und es gibt eine elektrische Seitentür- und Heckklappenöffnung.
Michel Arriens war es unter anderem besonders wichtig, dass er direkt mit seinem Hilfsmittel – diesem Roller – ins Fahrzeug gelangen und dieses dort sicher verstauen kann.
Umrüstung von Kleinbussen – große Nachfrage
Lönnies weiß aus seiner langjährigen Berufserfahrung, dass viele Kund*innen auf ein großes Auto angewiesen sind – gerade, wenn sie im Innenraum einen gewissen Platzbedarf haben, beispielsweise beim Umsetzen. "Ob nun von VW oder von anderen Marken – Bullis sind sehr beliebt in dieser Hinsicht. Die Nachfrage war, so lange ich denken kann, schon immer groß", erinnert sich Lönnies.
Auch die Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN) AG selbst kann die hohe Nachfrage nach speziellen und individuellen Lösungen durchaus bestätigen. "Individuelle Behinderungen erfordern maßgeschneiderte Mobilitätslösungen, die Volkswagen Nutzfahrzeuge gemeinsam mit spezialisierten Aufbauherstellern anbietet", sagt Gerd Schmees, Key Account Manager, VWN Vertrieb Deutschland Sonderabnehmer.
Die Bedürfnisse der Kund*innen werden durch kontinuierlichen Austausch immer wieder abgefragt. "Somit sind wir in der Lage, unsere Fahrzeuge durch den Input, das Feedback und die Wünsche unserer Kundschaft ständig weiterzuentwickeln, um gemeinsam mit Aufbauherstellern heute und in Zukunft passende Mobilitätslösungen anbieten zu können." Denn persönliche und vor allem selbstbestimmte Mobilität – so weiß das Unternehmen – sind gerade für Menschen mit Behinderung ein unschätzbares Gut.
Selbstbestimmt mobil – beruflich und auf Reisen
Franziska Stoldt und Michel Arriens empfinden das ganz genauso. Auch wenn es gerade in Großstädten bereits gut ausgebaute Verkehrsnetze gebe, so seien eben noch längst nicht alle Bahn- oder Busstationen barrierefrei ausgebaut. "Daher gibt uns das Auto nun wirklich ein großes Stück Barrierefreiheit", sagt Stoldt. "Wir wissen, dass wir mit dem Auto von A nach B kommen, ohne dass wir uns Gedanken machen müssen, wie die Bedingungen unterwegs sind." Michel Arriens ergänzt: "Wir können mobil und autark sein. Und letztlich haben wir das Selbstverständnis wie jeder nicht-behinderte Mensch auch, uns ohne Hindernisse von einem Ort zum anderen bewegen zu können."
Auch auf ihren gemeinsamen Reisen verhilft der VW-Bus dem Pärchen zu ganz neuen Möglichkeiten. Mal eben spontan ein Hotelzimmer vor Ort zu buchen, war ihnen bisher nämlich nicht ohne Weiteres möglich. Das erforderte im Vorfeld viel Rechercheaufwand und meist war eine Buchung auch nicht kurzfristig möglich. Aber auf ihrem ersten Roadtrip durch Dänemark und Schweden haben sie Anfang April eine ganz neue Art zu reisen kennengelernt: Einfach drauflosfahren und spontan entscheiden, wo sie mit dem Bulli übernachten. Ein Traum hat sich damit für beide erfüllt. "Wir waren zwei Wochen lang an den Westküsten von Dänemark und Südschweden unterwegs. Es war erstaunlich, wie einfach es war, barrierefreie Campingplätze zu finden", erinnert sich Stoldt. Beide hätten nicht gedacht, dass es so viele Campingplätze gibt, die barrierefreie Duschen und Sanitäranlagen haben. "Von daher war das ein ganz toller, barrierefreier und enthinderter Urlaub, in dem wir unglaublich viel sehen und erleben konnten", ergänzt Arriens.
Michel Arriens und Franziska Stoldt war es sehr wichtig, dass die Hebebühne eine möglichst kurze Rampe hat, damit sie auch im Stadtverkehr gut zurechtkommen. Michel Arriens ist auch beruflich viel unterwegs mit dem Fahrzeug.
Aufgrund ihrer ersten positiven Erfahrungen mit dem Bulli und dem damit verbundenen Gefühl von Freiheit würden Franziska Stoldt und Michel Arriens daher auch anderen raten, so einen Umbau auf jeden Fall anzugehen, wenn es für sie (finanziell) machbar ist.
Wenn man das Fahrzeug wie Michel Arriens beispielsweise auch beruflich benötigt, lohnt es sich, einen Antrag auf KFZ-Hilfe bei der zuständigen Arbeitsagentur zu stellen. Da werden oft mehr Zuschüsse vergeben, als viele annehmen. Ansonsten gelte generell, sich über sämtliche mögliche Unterstützungsmöglichkeiten zu informieren. Ansprechpartner könnte beispielsweise die vor Ort ansässige Initiative für Selbstbestimmt Leben (ISL) sein oder auch ein örtlicher Auto-Umbauer. "Auch die wissen in der Regel, wo man solche Zuschüsse beantragen kann", kann Arriens bestätigen.
Der Prozess der Beantragung sei dabei dennoch nicht zu unterschätzen. Es müssen viele Stellungnahmen, Gutachten und Unterlagen eingereicht werden. Die Zeit vom Antrag bis zur Bewilligung kann sich also eine ganze Weile ziehen. Dennoch sind sich beide einig: "Wir sind unglaublich froh, dass wir diesen steinigen Weg gegangen sind und heute mit dem Bus vor der Tür leben dürfen – unsere kleine barrierefreie Welt, unser Stück Lebensqualität und Selbstbestimmung."