Die Chance, die Messen einem jungen Unternehmen bieten können, kann auch Jessica Lewerentz aus eigener Erfahrung bestätigen. Nicht nur, dass man gesehen wird und wertvolles Feedback erhält, man kann sich auch einen sehr guten Überblick verschaffen, was sich in der Branche (hoffentlich) so tut. Die Bremer Schneidermeisterin hatte nämlich dasselbe Problem wie die So Yes-Gründerinnen: "Es gibt zwar allerhand Hilfsmittel für Menschen mit Behinderung, aber in Sachen Mode gab es meist nur Kompromisse. Das hat sich mittlerweile zum etwas Glück geändert."
Lewerentz selbst hat keine Behinderung. Wie kam sie also dazu, sich mit Mode für Rollstuhlnutzende zu beschäftigen? Nun, ein MS-Schub einer Bekannten veranlasste sie, sich 2013 mit ihrem Label Fadenstolz selbstständig zu machen. Denn zum einen hatte der Schub zur Folge, dass die Arbeitskollegin ihrer Schwester nun dauerhaft auf einen Rollstuhl angewiesen war – was die Auswahl an Kleidung einschränkte. Und zum anderen wurde ihr die Zugänglichkeit von Geschäften generell zusätzlich dadurch erschwert, dass es sich dabei um einen Elektro-Rollstuhl handelte. "Mein Wunsch war es, dass Rollstuhlnutzende nicht nur anziehen müssen, was irgendwie verfügbar ist, sondern eine ebensolche Auswahl haben können wie Nicht-Rollstuhlnutzende."
Meist ist es Alltagskleidung, die die Maßschneiderin für ihre Kundschaft anfertigt. Neben den üblichen Hosen gehören auch Regenjacken und Mäntel zum Repertoire. Manchmal trägt aber auch ein Brautkleid das Label Fadenstolz.
Da die Schneidermeisterin aber noch kein barrierefreies Atelier gefunden hat, kommt sie ihre Kund*innen zuhause besuchen. Alles, was in einem fahrbaren Umkreis in und um Bremen liegt, fährt sie dabei mit Stoffmustern im Gepäck ab. Aus der Not hat die Maßschneiderin inzwischen eine Tugend gemacht: "So kann ich einen Blick in den Kleiderschrank werfen und bei der Stoffauswahl direkt schauen, ob es mit der übrigen Kleidung zusammenpasst oder wie es mit den Lieblingsstücken kombiniert werden kann." Neben Farben und Kombinierbarkeit mit den bereits im Kleiderschrank vorhandenen Stücken ist natürlich auch die Handhabbarkeit der Einzelanfertigungen für Lewerentz von Bedeutung. Auch wenn es ruhig etwas figurbetonter und modischer sein darf, "die Priorität Nummer eins ist immer, dass meine Kund*innen die Sachen selbstständig an- und ausziehen können."