Was war bisher Ihre größte Herausforderung, die Sie gemeistert haben – und was hat Ihnen dabei geholfen?
Isabelle Sievers: Ich habe lange Zeit unter Anorexie (Magersucht) gelitten, das hat mich bis zu einem Suizidversuch geführt, bei dem ich auf einen kleineren Strommast geklettert bin und die Hochspannungsleitung berührt habe. Infolgedessen sind meine Behinderungen entstanden. Meine größte Herausforderung war der Weg, den ich seitdem gegangen bin: Von plötzlich schwerbehindert, tief in der Essstörung gefangen, körperlich nicht in der Lage, eine Prothese zu tragen, über einen weiteren Klinikaufenthalt, intensive Auseinandersetzung mit meinen psychischen Problemen, Aufarbeitung des Erlebten, körperliche Stabilisierung, bis hin zu "Ich habe die Essstörung hinter mir gelassen, wohne eigenständig in meiner eigenen Wohnung, bin wahrhaftig glücklich und habe eine Prothese, die ich problemlos ansteuern, nutzen und den ganzen Tag über tragen kann und die mir ganz viel Lebensqualität gibt". Und diese Entwicklung in nur drei Jahren. Geholfen haben mir dabei zunächst die Ärzte, die alles menschenmögliche geschafft und mir erfolgreich das Leben gerettet haben. Aber natürlich auch meine Familie, die nie von meiner Seite gewichen ist, sowie ein paar wenige wahrhaftige Freunde. Außerdem hat mir mein Durchhaltevermögen und starker Wille geholfen – ich habe mich nie aufgegeben, sondern habe mich immer weiter vorwärts gekämpft, bis ich das schier Unmögliche erreicht hatte.
Was kann die Hilfsmittelbranche aus der Corona-Pandemie lernen, um zukünftig das Leben von Menschen mit Behinderung zu erleichtern beziehungsweise zu verbessern?
Isabelle Sievers: Ich denke, Digitalisierung ist hier das Stichwort. Zunächst fände ich es vorteilhaft, wenn sämtliche Hilfsmittelbranchen in den sozialen Medien vertreten sind, sodass die entsprechenden Angebote für eine breitere Masse zugänglich sind und so auch eher die Patient*innen erreichen. Ich bin zum Beispiel auf die REHACARE-Messe über Instagram aufmerksam geworden. Aber auch Online-Angebote fände ich wichtig, zumindest dass die Option dafür besteht. Für manche Menschen mit Behinderung ist eine Anreise mit viel Aufwand verbunden, trotzdem ist es wichtig, die Patient*innen abzuholen und ihnen die notwendige Unterstützung zu vermitteln. Ich dachte da zum Beispiel an Online-Beratungsgespräche. Aber auch an eine Online-Plattform für Menschen mit Behinderung, sodass Gleichgesinnte einfacher ins Gespräch kommen können. Der Austausch untereinander ist so wichtig.
Wenn nichts unmöglich wäre: Wen würden Sie gerne einmal treffen und warum?
Isabelle Sievers: Ich würde gerne einmal meine Lieblingsband Versengold abseits von Konzerten treffen. Einfach um mit ihnen ins Gespräch zu kommen, da sie ein paar sehr bewegende Lieder komponiert haben, die mir durch so manch schwierige Zeit geholfen haben.
Was war Ihr schönstes REHACARE-Erlebnis?
Isabelle Sievers: Leider war ich noch nie auf der REHACARE-Messe. Da ich erst seit 2019 amputiert bin und dann die Pandemie dazwischenkam, hat sich mir noch nicht die Gelegenheit geboten. Aber vielleicht schaue ich ja dieses Jahr mal vorbei.
Was ich noch sagen wollte ...
Isabelle Sievers: Jeder Mensch ist einzigartig, wertvoll und wunderschön, so wie er ist. Egal ob er eine Prothese, Orthese oder ein sonstiges Hilfsmittel trägt, egal ob er von Narben gekennzeichnet ist oder im Rollstuhl sitzt. Wahre Schönheit kommt von innen und lässt sich nicht auf Äußerlichkeiten reduzieren. Nur man selbst kennt seine innere Stärke. Und ich bin der festen Überzeugung, dass man alles schaffen kann, wenn man nur fest an sich selbst glaubt und sich nicht von der Erwartungshaltung der Gesellschaft beeinflussen lässt.