Welcher Mensch hat Sie bisher am meisten beeinflusst? Und warum?
Sabine Klemens: Da gibt es nicht den einen Menschen, wobei "beeinflussen" für mich das falsche Wort ist, dann fühle ich mich wie ein gesteuerter Lenkdrachen.
Mein Mann kennt mich in allen Facetten am längsten. Wir haben zusammen alle Höhen und Krisen gemeistert, Wege finden können und uns immer ehrlich auseinandergesetzt. Meine Behinderung spielt da keine Rolle. Deshalb ist seine Meinung so wertvoll für mich, er gibt mir so viel Kraft.
Beeindruckt hat mich die Biographie der mexikanischen Malerin Frida Kahlo, die nach ihrem schrecklichen Unfall allen Schmerz und auch die Lebenslust in ihren großartigen Bildern verarbeitet hat. Da gibt es natürlich Parallelen, die sich als Identifikationsmöglichkeit für mich geradezu aufdrängen: die innere Kraft etwas Schreckliches zu verarbeiten, indem man die Chance nutzt, daraus etwas Gutes zu entwickeln, macht mental stark.
Jedenfalls habe ich mich immer an den Menschen orientiert, die eine optimistische Lebenseinstellung haben und gute Energie ausstrahlen. "Frisch im Rollstuhl" hat es mir unglaublich geholfen, mich durch die Social-Media-Kanäle zu klicken und mir in Netzwerken mutmachende Inspiration von aktiven und sportlichen Rollstuhlfahrern zu holen, die ihr Leben gut gestaltet haben. Da habe ich viel gelernt und für mich adaptiert umgesetzt.
Und last but not least: Ich hoffe, dass ich niemals meinen Pippi Langstrumpf–Anteil im Herzen verliere! :)
Sie haben die Chance Bundesbehindertenbeauftragte zu werden. Was wäre Ihre erste Amtshandlung?
Sabine Klemens: OMG – Ich bin wirklich beeindruckt, dass alle meine Vorgänger in "So tickt…" wie aus der Pistole geschossen einen Maßnahmenkatalog ausspucken konnten. Da bin ich etwas langsamer, liegt wahrscheinlich am Alter…?!?. Ehe ich jetzt wieder voreilig ein Amt übernehme, ohne überhaupt zu wissen, worin die genauen Aufgaben als Bundesbehindertenbeauftragte bestehen, und welche Kompetenzen ich überhaupt hätte, müsste ich erstmal googlen. Dass die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland nicht genügend umgesetzt worden ist und dem dringend Abhilfe geschafft werden muss, ist auf dieser Plattform schon in allen Variationen ausgeführt worden – dem kann ich mich nur anschließen.
Aus meiner eigenen Erfahrung: Ich würde besonderes Augenmerk darauf legen, einen Maßnahmenkatalog zu erarbeiten, damit Menschen mit Behinderung ihrem Leistungsvermögen entsprechend viel mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt integriert werden. Aufgrund von Vorurteilen seitens der Arbeitgeber liegt da viel zu viel ungenutztes Potenzial von gut ausgebildeten Fachkräften mit Behinderung brach. Das Gleiche gilt für den Zugang von Schüler*innen zu Bildung.
Meine Behinderung habe ich mitten in der Probezeit bei befristetem Vertrag erworben, ungünstiger ging es also nicht. Durch Willenskraft, Glück und gute Leistung blieb mir der Arbeitsplatz erhalten. Erst nach Entfristung des Vertrages nach zwei Jahren konnte ich bei fortschreitender Erkrankung Maßnahmen zur "Teilhabe am Arbeitsleben" beantragen.
Das bietet Einkommen, Teilhabe an der Gesellschaft, für meinen Arbeitsgeber eine engagierte Arbeitskraft und für mich: die Möglichkeit einen weiteren Kostenträger für nötige Hilfsmittel zu haben, die dem Erhalt der Arbeitskraft dienen – zum Beispiel auch KfZ-Hilfe, was mir auch in der Freizeit den Alltag unglaublich erleichtert. Obwohl alles anstrengend ist und ich keine Vollzeitstelle schaffe, schenkt es eine innere Befriedigung dazu zu gehören.
Menschen mit Behinderung, die aus gesundheitlichen Gründen gar nicht arbeiten können, oder die einfach keinen Job finden, bleiben diese Hilfeleistungen verwehrt. Diese Möglichkeit und Chance muss allen Menschen mit Behinderung gegeben werden, die arbeitsfähig sind, ausgestattet mit den erforderlichen Hilfsmitteln und baulichen Maßnahmen, um den Beruf auszuüben. Und dass Einkommensdeckelung entfällt, wie bei jedem gesunden Menschen auch, denn notwendige Assistenzleistungen gelten als Nachteilsausgleich.