Was macht einen Tag für Sie zu einem guten Tag?
Karina Sturm: Gute Tage sind im Leben mit einer Erkrankung wie dem Ehlers-Danlos-Syndrom Tage, an denen meine Schmerzen so gut kontrolliert sind, dass ich am Leben teilhaben kann, ohne dass mich der Schmerz von verschiedenen Aktivitäten abhält. An einem – ich nenne sie immer eher – besseren Tag schaffe ich alle To-Do’s auf meiner Liste, ohne danach völlig ausgelaugt zu sein oder gar noch am nächsten Tag die negativen Konsequenzen der Anstrengung erleben zu müssen. An einem besseren Tag stehe ich morgens relativ erholt auf, komme vor um 10 Uhr aus dem Bett und kann im Laufe des Tages mehrere Aufgaben erfüllen. Ich kann essen, ohne dass mir schlecht wird oder ich auf die Lebensmittel reagiere. Ich kann gehen, mich bücken und den Haushalt schmeißen, ohne dass ich danach eine Woche flach liege. An einem guten Tag kann ich vielleicht Freunde treffen, einen Artikel schreiben und alles das tun, was mein Leben zu einem glücklichen Leben macht.
Welche Hilfsmittel oder Alltagshilfen sind für Sie unverzichtbar?
Karina Sturm: Hilfsmittel sind im Leben mit EDS eine der Hauptsäulen neben Physiotherapie, Schmerztherapie und die Anpassung der Lebensumstände. Da gibt es zum Beispiel Bandagen und Orthesen für die instabilen Gelenke, Mobilitätshilfen wie Rollatoren, Gehstöcke, Rollstühle und Krücken als Unterstützung im Alltag und dann natürlich die Hilfsmittel, die gar nicht offiziell als Hilfsmittel gelten – wie die Anschaffung von neuen Matratzen, speziellen Kissen, oder gar so Dinge wie ein Staubsaugerroboter, der für mich zum Beispiel eine der besten zehn Anschaffungen für meine chronischen Erkrankungen ist, denn der erspart mir viel Schmerz.
Das bislang beste Hilfsmittel meines Lebens ist ein Liegefahrrad. Aufgrund meiner Erkrankungen/Behinderung kann ich schon seit langem kaum noch an sportlichen Aktivitäten teilnehmen. Gleichermaßen war ich immer eine sehr kompetitive Person, das heißt: Bevor ich krank wurde, hatte ich mich ständig im Volleyball oder anderweitig mit anderen Menschen gemessen. Diese Liebe zum Sport habe ich nie verloren, auch wenn ich nur noch wenig Aktivität toleriere. Fahrradfahren war ich seit 12 Jahren nicht mehr. Meine Rückenschmerzen, die Instabilitäten an der Wirbelsäule und die Gleichgewichtsprobleme haben dazu geführt, dass ich kaum zehn Minuten auf einem normalen Rad sitzen kann. Ein Sturz hätte fatale Folgen. Dadurch, dass ich praktisch überall hin laufe, aber mein Gehradius begrenzt ist, konnte ich mich für viele Jahre nur rund um meine Wohnung aufhalten. Seit wenigen Monaten habe ich ein Liegedreirad und plötzlich hat sich mein Bewegungsradius verzehnfacht. Außerdem kann ich durch das Rad meine Muskeln stärken, während ich durch die bequeme Lage Schmerzen reduziere. Ich kann kaum in Worte fassen, wie es sich anfühlt einen langen, abfallenden Hügel hinunterzufahren und den Fahrtwind im Gesicht zu spüren und gleichzeitig selbstständig und ohne fremde Hilfe neue Orte zu erkunden. Ein ganz neues Leben.
Was würden Sie sich von der Gesellschaft und Ihren Mitmenschen im Umgang mit Menschen mit Behinderung wünschen?
Karina Sturm: Es gibt sehr viele Dinge, die sich für Menschen mit chronischen Erkrankungen und unsichtbaren Behinderungen ändern müssten. Aber einer meiner größten Wünsche als chronisch kranke Frau, die mit einer unsichtbaren Behinderung lebt, ist, dass die Menschen in unserem Umfeld – vor allem die Mediziner*innen – verstehen lernen, dass man viele chronische Krankheiten/Behinderungen nicht sehen kann. Das heißt aber nicht, dass sie deshalb nicht da sind oder dass die Betroffenen sich ihre Krankheit "einbilden". In dem Zusammenhang würde ich mir gleichzeitig noch wünschen, dass in Medizinkreisen mehr über Medical Gaslighting und Gender Bias gesprochen werden würde, denn meiner Meinung nach hängt das alles zusammen:
Vorurteile gegen junge Frauen, die nicht krank aussehen, führen in der Konsequenz oft zu medizinischem Gaslighting. Und nur wenn wir als Betroffene offen darüber sprechen und die Ärzt*innen uns zuhören, kann langfristig sichergestellt werden, dass gerade Frauen mit unsichtbaren Krankheiten/Behinderungen nicht konstant falsch diagnostiziert und behandelt werden. Fehlbehandlungen führen zu körperlichen und psychischen Schäden, die manchmal nicht mehr rückgängig gemacht werden können und die uns ein Leben lang begleiten. Das müsste alles nicht sein...
Welches Hilfsmittel müsste dringend erfunden und/oder verbessert werden?
Karina Sturm: Hm, ich weiß gar nicht, ob ich sagen würde, dass neue Hilfsmittel für mich erfunden werden müssten – und ich kann ja nur für mich selbst sprechen, weil jede Person mit EDS ganz andere Bedürfnisse hat. Eigentlich gibt es super viele tolle potenzielle Alltagshelfer. Was meiner Meinung nach das größere Problem ist, dass vieles von dem, was für mich ein Hilfsmittel ist, in unserem derzeitigen Gesundheitssystem nicht als ein Hilfsmittel gilt und dadurch unerschwinglich teuer sind. Die Lebensqualität von einer Person mit EDS hängt viel davon ab, wie viel Geld sie in medizinisches Equipment investieren kann, das von den Kassen nicht getragen wird. Und das ist unfair.
Die Teilhabe am Leben sollte nicht vom Verdienst/finanziellen Ressourcen abhängen – zumal die meisten chronisch kranken Menschen auch nicht unbedingt in Geld schwimmen. Nehmen wir noch mal mein Liegerad als Beispiel. Das ist keine Kassenleistung gewesen. Solche Räder sind schnell im vier- bis fünfstelligen Bereich. Das können sich die meisten Menschen mit Behinderung niemals leisten oder nur nach vielen Jahren des Sparens, indem sie auf anderen essenzielle Dinge verzichtet haben, um Prioritäten zu setzen.
Wirklich alles in unserem Leben dreht sich darum, Prioritäten zu setzen, denn wir können nie all die Sachen kaufen, die wir eigentlich für die Krankheit bräuchten und wir können nie all die Dinge tun, die wir gerne tun würden. Ich habe also ewig auf dieses Rad gespart und habe es letztlich dann sogar von der Kasse übernommen bekommen. Das war übrigens das erste Mal, dass ich irgendeine große Leistung, die nicht zum Regelkatalog zählt, von der Kasse erhalten habe. Darüber bin ich unendlich glücklich, doch gleichzeitig weiß ich auch, dass das ein großes Privileg ist, das so sicher nicht jeder Person mit Behinderung zu teil wird.